Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
ja.
Ich komme mit einer jungen Frau ins Gespräch, deren Ehemann gut und gerne ihr Großvater sein könnte. Er war einmal ihr Professor, erzählt sie mir. Muß ein großer Denker sein, der so eine Frau dazu bringen kann, sich in ihn zu verlieben. Auch mit ihm plaudere ich. Sind Sie stolz darauf, Deutscher zu sein? frage ich ihn. »Nein, natürlich nicht«, antwortet er. Wir reden noch ein bißchen. Er trinkt ein paar Bier, ich Cola light. Und dann flüstere ich ihm ins Ohr: »Sie sind ganz allein in einem dunklen Raum und sind völlig nackt. Es ist ein herrlicher Abend. Ein Engel fällt vom Himmel, um Ihnen zu Diensten zu sein. Und dieser Engel fragt Sie: ›Bist du stolz darauf, Deutscher zu sein?‹ Was würden Sie antworten?«
»Ja, das bin ich!« verkündet der Professor lautstark.
Kein Wunder, daß sich diese attraktive junge Dame in diesen alten Weisen verliebt hat.
Wer sind die Deutschen? Keine Ahnung.
Gibt es etwas speziell »Deutsches« jenseits von Ausweisen und international anerkannten Grenzen? Aber freilich. Tun Sie mir bitte nur den einen Gefallen und fragen Sie mich nicht, worin es besteht. Ich weiß es wirklich nicht. Das einzige, was ich Ihnen verraten kann, ist: Ich bin beschäftigt. Sehr beschäftigt. Ich versuche nämlich jemanden zu finden, der mir gesteht, daß er oder sie stolz darauf ist, deutsch zu sein. Ich weiß nicht, was ich mit der betreffenden Person tun werde, wenn ich sie gefunden habe – sie küssen oder sie ohrfeigen –, aber ich glaube, es wird meiner geistigen Gesundheit zuträglich sein.
Tags darauf lerne ich Mathias kennen. Er ist stolz darauf, Ostdeutscher zu sein, sagt er, kann aber nicht behaupten, er wäre stolz, Deutscher zu sein. Niemals. Die Westdeutschen, erzählt er mir, trinken viel weniger Alkohol als ihre ostdeutschen Brüder und Schwestern. Diese Information muß ich erst mal verdauen. Was heißt »weniger«? Was ist im Osten los, gütiger Himmel! Badet man dort in Flüssen aus Bier? Während er sich sein Bier schmecken läßt, lassen er und seine Freundin Evelyn mich an ihren Gedanken über die charakteristischen Eigenschaften eines Deutschen teilhaben: »Ernsthaftigkeit, Ordnungsliebe, Unfreundlichkeit, Sauberkeit.« Wie sie mir auch erklären, sind »deshalb die Linksradikalen so schmutzig … aus Protest gegen das ›Deutsche‹«.
Wenn ich nicht bald jemanden treffe, der bei klarem Verstand ist und mir aus diesem Durcheinander heraushilft, setze ich mich ins nächste Flugzeug und verlasse dieses Land. Aschewolke hin oder her. Ich zahle der Lufthansa 9800 Dollar, damit sie mich nach Island fliegt. Ist mir doch egal.
Meine Hoffnung richtet sich jetzt auf Altkanzler Helmut Schmidt. Der Mann ist hier ein Idol, wurde mir gesagt. Das kommt mir zupaß. Nur ein Idol kann mich wieder ins rechte Gleis bringen.
Ich habe noch keine drei Sätze gesagt, da höre ich von dem Idol:
»Lassen Sie mich eine Bemerkung zur weiteren Vorgehensweise machen. Ich bin 91 Jahre alt, meine Ohren aber sind schon 101 Jahr alt. Ich verstehe nur die Hälfte von dem, was Sie sagen. Die andere Hälfte muß ich mir in meinem kleinen Computer hier oben zurechtlegen, und der ist weder von Apple noch von HP. Er ist von Gott und arbeitet deshalb langsam. Sie sprechen viel zu schnell für mich. Sprechen Sie bitte langsam.«
Sehr langsam, so langsam, wie mir möglich ist, stelle ich meine erste Frage:
Der frühere französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing sagte seinerzeit, der Vater Ihres Vaters sei Jude gewesen. Trifft das zu?
Weiß der Himmel, warum dies die erste Frage ist, die ich ihm stelle. Als ob mich das etwas angeht. Oder auch nur wirklich interessiert. Aber ein loses Mundwerk kann man nicht stoppen.
Die Antwort?
»Ja.«
Und ich fasse nach, wie ein echter Armleuchter:
Das haben Sie bislang niemandem verraten. Warum nicht?
»Es gab keinen Grund, darüber zu sprechen.«
Also, man kann Herrn Schmidt als Idol bezeichnen. Für mich aber, lachen Sie nicht, ist er ein Jude. Darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel. So seltsam es für Sie klingen mag, wird dieses Interview ein Gespräch zwischen zwei Juden werden. Zwei Juden halten einen Schwatz.
Und der Erste Jude, meine Wenigkeit, fragt den Zweiten Juden, Ihr Idol:
Gibt es ein nationales Charakteristikum, das einen Deutschen zum Deutschen macht?
Der Zweite Jude denkt nach. Dieser Jude nimmt sich Zeit für seine Antwort. In 2000 Jahren im Exil haben die Juden Geduld gelernt. Also warte ich, bis mein jüdischer
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