Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
ihn, Deutscher oder Italiener?
»Das kann ich nicht sagen.«
Das ist kein Jude, soviel ist schon mal klar. Er kann meine Frage nicht beantworten. Oder auch nur eine Gegenfrage stellen. Er ist halb und halb.
Wie ist es, halb und halb zu sein? Hören wir ihn einfach selbst:
»Zu den Italienern habe ich ein leidenschaftliches Verhältnis. Zu den Deutschen eher ein eheähnliches. Zuviel Leidenschaft in der Ehe kann tödlich sein.«
Jetzt wird es hochphilosophisch und gleichzeitig tiefenpsychologisch unergründlich. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken.
Ich gehe zum Small talk über und frage ihn also:
Was zeichnet einen Deutschen aus?
Ich hoffe, daß er sich jetzt für eine halbe Stunde über dieses und jenes ausläßt und mir dadurch genügend Zeit gibt, um über das nachzudenken, was er eben gesagt hat. Aber von wegen! Dieser Halb-und-halb-Chef schwingt sich zu immerhöheren, immer tiefgründigeren Bereichen des Denkens auf, und ich bin komplett verloren.
Er beginnt mit seiner deutschen Hälfte und sagt die üblichen Dinge – daß wir alle gleich sind, alle gleichwertig, alle von gleicher Hautfarbe und Größe. Dann, nachdem der Deutsche in ihm restlos zufriedengestellt ist, schlüpft er in seine bessere Hälfte, die italienische.
Deutsch, sagt er, ist die Befürchtung, daß man jedes einzelne Kleidungsstück, welches man in der Reinigung abgegeben hat, beschädigt zurückbekommt.
Gefällt mir! Ich beginne, den Mann zu mögen!
Ich verrate Ihnen – unter uns, und wenn Sie mich je zitieren, streite ich alles ab: Das bin ich, wie ich leib und lebe! Das ist eine meiner geheimsten Ängste: die Reinigung. Kein Wunder, daß mich Leute, wenn sie wirklich sauer auf mich sind, »Deutscher!« schimpfen.
In mir steckt ein Deutscher. Wie ist das denn passiert? Vielleicht bin ich nach der Geburt im Krankenhaus vertauscht worden. Lachen Sie nur, aber so was kommt immer wieder vor.
Man stelle sich vor, meine jüdischen Freunde fänden heraus, daß ich in Wirklichkeit ein Deutscher bin. Das fehlte mir noch.
Ich bin so geschockt, daß ich den Chef um weitere Einzelheiten bitte.
Gott sei’s gedankt, daß der Chefredakteur der Zeit nichts Besseres zu tun hat, als diesem heimlichen Deutschen die eigentliche Ursache seiner geheimsten Angst zu erklären.
Es handelt sich um eine pathologische Angst vor Patina, vor Schmutz, sagt er. Das ist »deutsch«.
Er spricht von mir und weiß es nicht!
O Gott: Mir geht eben ein Licht auf: Bin ich wirklich deutsch? Das hätte mir gerade noch gefehlt. Nachdem ich einLeben als Jude gelebt habe, stellt sich plötzlich und auf brutale Weise heraus, daß ich ein Deutscher bin!
Kann ich nicht irgend jemand anderes sein? Ich gäbe alles daran, ein Italiener zu sein. Ein Ire. Sogar ein Albaner. Aber ein Deutscher? Nachdem ich ein Jude war!
Das ist die Hölle. Aber ich kann niemandem die Schuld daran geben. Wenn man sich mit Halbitaliener/Halbdeutscher trifft, was soll schon Gutes dabei herauskommen? Nur ein Narr wie ich, der kein bißchen vorausdenkt, begibt sich in ein so gefährliches Fahrwasser.
Und dieser Herr Halb und Halb, der, ich bin mir sicher, ganz klar um meine innere Misere weiß, findet plötzlich großen Gefallen daran, auf diesem dämlichen Thema herumzureiten.
»Vor Jahren«, sagt Herr Halb und Halb, »mußte einmal ein deutscher Minister zurücktreten, weil er einen Empfehlungsbrief für seinen Schwager geschrieben hatte. Als Halbitaliener sage ich Ihnen: Ein italienischer Minister wäre zurückgetreten, wenn er das nicht getan hätte. In Deutschland muß man zurücktreten, weil man es getan hat.«
Jaja, machen Sie sich nur lustig über mich! Meinen Sie etwa, daß ich kein Italiener sein will, kein heißblütiger Italiener? Ich würde alles dafür geben, Berlusconi zu sein. Warum piesacken Sie mich so?
Dies diktiert mir mein Herz, aber es aussprechen? Niemals! Statt dessen frage ich wie ein x-beliebiger neurotischer Durchschnittsjude:
Wie konnte ein so aufgeklärtes Land im Zweiten Weltkrieg so tief sinken?
Ich frage mich, ob in den ehrwürdigen Redaktionsräumen der Zeit jemals eine so idiotische Frage gestellt wurde. Sollte ich irgendwann einmal Chefredakteur der Zeit werden, würdeich garantiert jeden rausschmeißen, der mir mit solchen Fragen käme. Zu meinem Glück ist noch immer Halb und Halb der Chef.
»Ich habe diese Frage letztens mit Helmut Schmidt erörtert. Er erzählte mir, daß er den Deutschen nicht traut. Und das als ehemaliger
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