Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
geringsten Stolz auf meine Kultur zum Ausdruck gebracht.«
Nie?
»Nein.«
Hätte er gerne einer anderen Kultur angehört?
»Ebenfalls nein.«
Und dann, zwischen einer Zigarette und der nächsten, als er im Begriff ist, sich die neue Zigarette zwischen die Lippen zu stecken, während er zugleich sein Feuerzeug hält, das im nächsten Moment aufflammen wird, prahlt der ketterauchende Rabbi ein wenig über seine jungen Jahre:
»Ich war nach dem Krieg versucht, in die USA auszuwandern. Mein Onkel bot mir eine Stelle in seiner Fabrik an, er botmir ein leerstehendes Haus an, das ihm gehörte. Es war eine wirkliche Versuchung«, klagt der ältere rauchende Jude. Doch ach, er nahm das Angebot nicht an.
Warum nicht?
»Weil ich ein Deutscher war.«
Ich muß sagen, der deutsche Rabbi ist lustig.
Diese Erkenntnis verlangt nach einer weiteren Zigarette.
Wenn ein Jude sich eine neue Zigarette ansteckt, darf er keinesfalls vergessen, auch ein neues Gesprächsthema anzuschlagen.
Irgendein Kommentar zu Angela Merkel? frage ich meinen Rauchpartner.
Partner oder nicht, Rabbi Schmidt verweigert jeglichen Kommentar, da er seit 30 Jahren nicht mehr in der Politik sei. Später aber, als ich ihn frage, wie es ist, im heutigen Deutschland ein lebendes Idol zu sein, tut er dies mit dem Hinweis ab, der wahre Grund dafür, zu einem Idol gemacht zu werden, »hat mit dem Umstand zu tun, daß die Regierung heute nicht mehr so imponierend ist, wie sie es einmal war«.
Das nenne ich einen echten Rabbiner!
Helmut ist eine seltene Kombination aus Gelehrter und Politiker, wenngleich ich mir nicht sicher bin, welcher Teil welchen beeinflußt und welcher seine stärkere Seite ist. Schwer zu sagen. Eines scheint mir jedenfalls klar: Er ist ein Mensch, der die Geschichte lebt und liebt. Er beeindruckt mich als jemand, der mit den oft widersprüchlichen Wendungen der Geschichte bestens vertraut ist und sein Vergnügen selbst an winzigen Details hat – Details, die andere lieber übersähen. Er sitzt in einem Rollstuhl, ganz offensichtlich fordern die Jahre ihren Tribut von ihm, doch wirkt er geistig stets hellwach und scharfsinnig. Er hat Spaß an seiner Tätigkeit für Die Zeit , über die er geradezu liebevoll spricht: »Wir sind vollkommen unabhängig. Niemand sagt uns, was wir drucken sollen und was nicht.« Darauf ist er stolz.
Als ich mich schon von diesem älteren Juden verabschieden möchte, kommt er auf den arabisch-israelischen Konflikt zurück. Seine Bewunderung, erzählt er mir, gilt dem früheren ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat, nicht aber dem früheren israelischen Präsidenten Menachem Begin.
Denn:
»Hätte Mosche Dajan [seinerzeit israelischer Außenminister] den Friedensvertrag mit Anwar as-Sadat unterzeichnet, dann hätten wir heute einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten. Diejenigen, die sowohl Rabin als auch Sadat ermordeten, wußten, was sie taten.«
Irgendwie habe ich das Gefühl, daß dieser Mann in seinen jungen Jahren nicht auf die Straße gegangen ist und mit leeren Flaschen auf Menschen geworfen hat, weil das so viel Spaß macht.
Als ich den Zweiten Juden verlasse, fühle ich mich gefaßter. Ich habe den Eindruck, meinen Verstand wiederzufinden. Ich werde nicht nach Island fliegen. Noch nicht. Das alles folgt einer gewissen Logik. Es gibt ein System hier in Deutschland. Nicht alle sind bescheuert. Hier geht es um Geschichte, nicht nur um Bier.
Ich bin aber doch ein klein wenig beunruhigt. Ich weiß nämlich mit Sicherheit, daß das, was der rauchende Jude mir sagte – »nicht wenige von ihnen haben einen türkischen Hintergrund« –, absolut nicht stimmt. Im Unterschied zu ihm habe ich an den Demos teilgenommen – und nicht einen Türken oder eine Türkin in der Menge gesehen.
Nun, er sagte, er habe diese Information aus den Medien.
Und da ich heute reichlich Zeit habe, beschließe ich, dem einmal nachzugehen.
Wie nimmt man die Medien unter die Lupe? Eine gute Idee wäre, einfach mal vorbeizuschauen.
Frage: Bei wem vorbeizuschauen?
Antwort: Mir wurde gesteckt, aber das bleibt unter uns, daß es hier im Norden einen smarten Medienmenschen geben soll, halb Italiener, halb Deutscher, der auf den Namen Giovanni di Lorenzo hört. Er ist Chefredakteur der Zeit .
Den besuche ich.
Seit er elf ist, erzählt er mir, lebt er in Deutschland.
»In Italien bin ich der Deutsche, in Deutschland der Italiener.«
Im Unterschied zu Rabbi Schmidt ist dieser Mann kein Jude.
Was also sind Sie? frage ich
Weitere Kostenlose Bücher