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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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Bundeskanzler!«
    Was diese Antwort mit meiner Frage zu tun hat, ist mir nicht ganz klar, aber die bloße Erwähnung dieses anderen Juden, Rabbi Helmuts, bewirkt, daß ich mich wohlfühle und meine Nerven sich völlig beruhigen.
    Und jetzt, da ich wieder entspannt bin und mich gleich wieder jüdisch fühle, frage ich Giovanni nach den Anarchisten. Juden lieben es, über alle möglichen Extreme zu sprechen. Aus irgendeinem Grund liegt ihnen dieses Thema, seit sie aus Ägypten herausspaziert sind.
    »Die Anarchisten werden den Leuten, die sie bekämpfen, immer ähnlicher«, sagt er. »Das ist eine Konstante bei allen radikalen politischen Bewegungen. Ich glaube nicht an die genetische Disposition eines Volkes im Unterschied zu einem anderen.«
    Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm zustimme, aber ich bin mir auch nicht sicher, ob ich ihm nicht zustimme. Ich bin, schlicht gesagt und so traurig es ist, kein Genetiker. Gewiß, ich hätte Arzt werden sollen oder wenigstens Biologe, es kam aber anders. Das einzige, was ich über Gene weiß, ist, wie man sie buchstabiert: G.e.n.e . Mehr nicht. Ich glaube aber nicht, daß ich meine Genunwissenheit gerade jetzt bekunden sollte. Also wechsle ich das Thema. Ich erzähle Halb und Halb, mit wie offenen Armen mich die Neonazis empfangen haben. Fragen Sie nicht, wie mir dieser spezielle Teil meiner jüngsten Vergangenheit plötzlich in den Sinn kommt. Psychiater bin ich nämlich auch nicht.

    Halb und Halb scheint überrascht.
    »Wirklich?«
    Und dann gehe ich, da ich nun einmal mit Herrn Halb und Halb spreche, von der radikalen Rechten zur radikalen Linken über. Warum auch nicht? Ich berichte ihm von meiner Beobachtung, daß die radikale Linke schmutzig ist, im Unterschied zu den rechten Saubermännern. Seine Reaktion: »Ja, das stimmt. Aber aus der Perspektive eines Linken, der ich nicht bin, würde ich doch sagen: Nobody is perfect.«
    Falls es Sie interessiert: Giovanni kommt mir vor wie ein Deutscher in einem italienischen Anzug. Mit anderen Worten: deutsche Seele in italienischem Körper. Er ist charismatisch, hat alles im Griff und herrscht mit einem Lächeln auf den Lippen über sein journalistisches Reich. Klischeehaft gesagt: Sein Führungsverhalten ist »germanisch«, kommt aber italienisch rüber. Der Mann hat Stil. Aber es gibt noch eine andere, tiefere Ebene in ihm, der man jedoch nur gewahr wird, wenn er sich mit einem wohlfühlt und es zuläßt, daß man auf den Grundseiner Persönlichkeit taucht. Er ist der perfekte Gastgeber: freundlich, liebevoll, witzig und ein toller Geschichtenerzähler. Er muß erst warm werden, aber wenn er es ist, dann glänzt er.
    »Kennen Sie den Unterschied zwischen Deutschland und Italien? Nein? Also wenn meine zweijährige Tochter Ja sagen will, spricht sie Italienisch, auch mit Deutschen. Wenn sie aber Nein sagen will, sagt sie Nein und nur Nein , niemals No , auch nicht zu Italienern.«
    Wie erklären Sie sich das?
    Herr Giovanni bricht in Gelächter aus. »Mit dem Klang der Sprache!«
    Ein Klischee, das Sie vermutlich auch kennen, besagt, das beliebteste deutsche Wort sei verboten . Stimmt das? Er verneint. Es entspricht nur dem stereotypen Bild so gut.
    Normalerweise liest er Zeitungen wie die New York Times und International Herald Tribune , und »die behaupten, daß Deutschland sich von Europa abwenden und mit den Russen zusammentun will, aber das ist totaler Quatsch. Sie leben nicht in Deutschland und sind in ihre Stereotypen vernarrt.«
    Von der Times und der Tribune zu sprechen bringt Giovanni auf sein Lieblingsthema: die Medien .
    » Die Zeit ist die größte Zeitung nach der Bild -Zeitung.«
    Was macht Die Zeit aus?
    »An erster Stelle die Tradition, wir stehen hier wirklich in einer großen Tradition. Ich bin seit fünfeinhalb Jahren hier. Wir versuchen, die Zeitung zu erneuern, ohne dabei folgende zwei Dinge aufzugeben. Zum einen wollen wir niemanden indoktrinieren. Wir sagen den Leuten nicht, was sie denken sollen, sondern geben ihnen nur die Möglichkeit, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Zum anderen verweigern wir uns stets dem Zeitgeist und folgen keiner Modeerscheinung. Ein nettes Wortspiel, nicht? Zeitgeist .«
    Von draußen hört man Glockengeläut. Eine tolle Gelegenheit für Giovanni, mit einer kleinen Geschichte aufzuwarten: »Vor einigen Wochen war ein jüdischer Freund von mir aus Tel Aviv hier, und als wir die Kirchenglocken hörten, sagte er: ›Oha, der Pfarrer hat gesehen, daß hier ein Jude sitzt.

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