Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
kriegt keinen Platz im Himmel. Ich werde nicht da oben neben Frau Ritz sitzen. Ein gräßlicher Jude, das ist alles, was ich bin. Morgen gehe ich zur Beichte.
Am nächsten Tag aber spaziere ich, gräßlich, wie ich nun mal bin, in ein Ausstellungszelt namens Oase der Versuchung . Wohin sonst! Meine Versuchung für heute ist eine attraktive Dame, die auf den Namen Schwester Jutta-Maria hört. Eine lächelnde Nonne. Sie war zwei Jahre lang mit einem Mann zusammen und beschloß dann, daß sie mehr von einer Beziehung wollte, was sie aber nur haben konnte, wie sie meinte, wenn sie sich mit Jesus vermählte. Also mit Jesus Christus. Seit fünf Jahren ist sie jetzt eine Schwester, und sie kommt Jesus stetig näher. In drei Jahren, so ist momentan der Plan, wird sie sich mit Ihm vermählen.
Wie sieht Jesus aus?
»Er ist kein Italiener. Er hat einen kurzen Bart und braunes Haar.«
Kann er gut küssen?
»Sind Sie Katholik oder Protestant?« lautet die Gegenfrage.
Ich? Protestant! Ein amerikanischer Protestant aus New York.
Kein Jude, kein Pole, kein Jordanier, kein Deutscher. Ich kann gar nicht glauben, wie oft ich meine Identität wechsle. Psychiater würden sagen, daß ich an einer Entwicklungsstörung oder etwas in der Art leide. Aber mir macht es einfach Spaß. Ein Leben habe ich zu leben, ich will aber noch viele Leben mehr. Ich kann Ihnen nur empfehlen, es einmal auszuprobieren, es ist sehr erhebend.
Kann Jesus gut küssen?
Hier wird die Schwester deutlich vorsichtiger. »Er ist kein, kein, kein –«
Kein was?
»Sie wissen schon, kein, wie sagt man auf englisch? Ich weiß es nicht. Er ist kein, Sie wissen schon.«
Wie wird es sich abspielen? frage ich sie. Wird Jesus nachts in Ihr Zimmer im Kloster kommen und rufen: »Hallo, Schwester Jutta. Hier bin ich!«?
»Jutta-Maria!« korrigiert sie mich. Ihr Geburtsname ist Jutta, ja, aber ihr ist die Jungfrau erschienen und hat ihr gesagt, »sie wolle ihren Namen hören, wann immer Menschen mich ansprechen«. Also, lächelt sie, »habe ich den Namen Maria hinzugefügt«.
Gut. Dann wollen wir jetzt versuchen, uns die Brautwerbungsszene vorzustellen: Jesus wird nachts in Ihr Klosterzimmer kommen und sagen: »Hallo, Schwester Jutta-Maria. Hier bin ich!« Was werden Sie dann tun?
Erst, erzählt sie mir, wird sie die Sache prüfen, um sicherzustellen, daß Er es ist. Ihr Vater ist Polizist, und sie vertraut nicht jedem einfach so.
»Sind Sie in Versuchung?« fragt sie mich und wechselt das Thema.
Ergreift sie die Initiative, möchte sie, daß ich sie in mein Ritz-Schlafzimmer entführe? Nein, nein. Sie bietet mir Chips an. Chips, sagt sie, sind eine echte Versuchung. Zwei Tüten in der Woche pflegte sie zu verzehren, bevor sie sich in Jesus verliebte. Heute sehnt sie sich nur alle zwei Monate nach ihnen. Sie lebt in einem Kloster, und wenn die Versuchung sie übermannt, wendet sie sich an die Oberin und schildert ihr das Problem. Und die Oberin sagt: »Mit Vergnügen gebe ich dir Chips.« Aber nicht immer. Manchmal gibt es keine Chips. Kann passieren. Jutta-Maria bietet mir Schokolade an – ihre Versuchung Nummer 2.
Ich sage, danke schön, aber heute werde ich der Versuchung widerstehen!
Sie schaut zur Oberin, die in der Nähe sitzt, und fragt, ob sie später die Schokolade haben könnte.
Ja!
Nun bringt Schwester Jutta-Maria ihrem amerikanischen protestantischen Besucher ein wenig Hebräisch bei.
» Maria «, sagt sie, »bedeutet Geliebte Gottes auf hebräisch.«
Dieser amerikanische Protestant schätzt sich sehr glücklich, in München Judaismus und Hebräisch studieren zu können.
Meine Reise nach Deutschland erweist sich als eine Reise ins Judentum.
Das Leben ist voller Überraschungen.
Manfred hätte sehen sollen, wie ich der Versuchung widerstanden habe. Er wäre stolz auf diesen Polen.
Ich bin auf der Münchner Messe, einem der Veranstaltungsorte, an denen Tausende deutscher Christen, Katholiken wie Protestanten, versuchen, sich ein wenig näher zu kommen.
Nur wenige Schritte entfernt von mir hält Margot Käßmann eine Rede. Ganz in Schwarz gekleidet, liest sie ihre Rede vom Blatt ab. Sie bekommt wiederholt Applaus. Ich sehe Journalisten und Pressefotografen in der Menge. Und nicht gerade wenige. Einige der Fotografen machen Fotos von anderen Fotografen.
Sie wirkt nicht sehr charismatisch auf mich, aber die Leute hier scheinen ihre Fans zu sein. Ich weiß nur wenig über sie. Sie war so eine Art Bischöfin und trat von ihrem Amt zurück,
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