Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
finden?
Vielleicht nach Berlin. Das ist die Hauptstadt; der richtige Ort für reiche Juden.
Zufälligerweise steht Schawuot, das jüdische Wochenfest, vor der Tür. Religiöse Juden erinnert dieser Feiertag an den Empfang der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai. Traditionell »empfängt« man die Thora, indem man an Schawuot die ganze Nacht aufbleibt und religiöse Schriften studiert. Mal sehen, wie deutsche Juden es damit halten. Reich, wie sie sind, müssen sie ja wohl sagenhaft zu feiern wissen.
Ich beschließe, die Nacht durchzumachen und aufzusuchen, was immer ich an jüdischen Tempeln finde.
Ich kaufe mir eine jüdische Lokalzeitung und schaue nach, wo was stattfindet. Als erstes begebe ich mich zu der Synagoge in der Pestalozzistraße. Der hiesige Rabbi kommt aus Israel. Der Kantor auch. Die Menschen sprechen hebräisch miteinander. Bin ich in Israel? Nicht ganz. 40 israelische Touristen sind anwesend, verrät mir der Mann vom Sicherheitsdient, der ebenfalls Israeli ist. Ohne sie wären nur sehr wenige Besucher hier. Ein israelischer Journalist, der in Berlin lebt, erzählt mir, daß er einmal daran gedacht habe, ein Buch über deutsche Juden zu schreiben. Nur gebe es da nicht viel zu schreiben. Was immer Sie gelesen haben mögen, ergänzt er, hat mit der Realität nichts zu tun.
Ich betrachte die Aufschrift an der Wand, die an die sechs Millionen Toten erinnert, während ich dem Gebet des Kantors lausche, der Gott dafür preist, daß er die Juden beschützt.
Ich beginne, an meiner Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. Schon wieder.
Die Synagoge befindet sich auf der straßenabgewandten Seite eines Hofs. Das, bequemt sich ein Mann mir zu erklären, geht auf die jüdische Geschichte in Deutschland vor dem Krieg zurück. Auf Juden, die ihren Glauben heimlich praktizieren mußten.
Ich wäre hier dann soweit fertig. Es reicht.
Es gibt noch einen anderen jüdischen Tempel in Berlin. Man erkennt ihn an einer goldenen Kuppel oben, Polizeiabsperrungen unten und patrouillierenden deutschen Polizisten davor. Nichts wie hin.
Dieser Synagoge steht eine Rabbinerin namens Gesa S. Ederberg vor. Sie trägt eine Kippa und legt obskure Texte über Käse aus, der von Nichtjuden hergestellt wurde. Kostprobe gefällig?
»Bithynischer Käse von Nichtjuden ist verboten, und zwar erstreckt sich das Verbot auch auf die Nutznießung – so Rabbi Meir; die Weisen sagen, das Verbot erstrecke sich nicht auf die Nutznießung. … Weil sie ihn durch das Lab von Aastieren gerinnen lassen.«
Es gibt so viele Texte im Talmud, die entschieden sinnvoller und erhellender sind. Warum hat diese Rabbinerin sich für einen solchen Nonsens entschieden? Fragen Sie nicht mich.
Ich bin in der jüdischen Kultur aufgewachsen, und irgend etwas fühlt sich hier fremd an, obwohl ich es nicht genau benennen kann. Was könnte es sein? Vielleicht sind das hier Konvertiten, denke ich mir. Ich weiß es aber wirklich nicht und frage also die Rabbinerin: Wie viele Konvertiten haben Sie hier? Sie antwortet, daß sie die Zahl nicht kennt, nur daß »wir einige haben«. Wieviel sind »einige«? 20 Prozent, 50 Prozent? »Ich weiß es nicht«, gibt sie scharf zurück, spürbar verärgert.
Tja, wenn die Rabbinerin es nicht weiß, wer sonst! Ihre Assistentin. 60 Prozent, sagt sie mir, als ich sie ausfindig gemacht habe. 60 Prozent sind, jüdisch gesprochen, ungefähr 96 Prozent.
Es folgt eine weitere Unterrichtseinheit, dieses Mal von einer Gastrabbinerin, die ebenfalls eine Kippa trägt. Sie erläutert die Käseherstellung. Sie hängt ein großes Blatt an die Wand, auf dem Informationen von der Art: Milch, 3,8 Prozent Fettgehalt, stehen.
Sie fährt fort, eine Predigt über Hüttenkäse, Milch, Sauerrahm und alle möglichen Käsesorten zu halten.
Das einzige, was mir dazu einfällt, ist: Offensichtlich gehören diese Leute nicht zu meinen Partnern bei Goldman Sachs!
Auch eine Chabad-Synagoge gibt es in Berlin. Dorthin zieht es mich jetzt.
Chabad oder auch Lubawitsch nennt sich eine chassidische Bewegung, die sich selbst für »die dynamischste Kraft im heutigen jüdischen Leben« hält und sich der Aufgabe verschrieben hat, die Juden auf der ganzen Welt, also auch in Deutschland, mit ihrer Ausrichtung des jüdischen Glaubens vertraut zu machen. Die Bewegung, die in Wort und Tat missionarisch ist, sendet zu diesem Zweck »Emissäre«, die in der Regel aus den USA kommen, in verschiedene Länder aus. Diese Emissäre müssen sich auf eigene Faust
Weitere Kostenlose Bücher