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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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das Bild und fragte ihn, ob er das sei. Er schlug mir ins Gesicht und schmiß mich raus. Ich hatte immer eine eins in Musik gehabt, nach diesem Vorfall aber war es eine sechs.«
    Ihr habt eine schwere Last zu tragen, Sie und das deutsche Volk, nicht wahr?
    »Ja.«
    Dann zeigt er mir seine elf Schafe. Ja, er hält Schafe. Ich liebe Schafe! Und wenn ich Schafe um mich herum habe, spreche ich nicht über die WM, obwohl ich ja eigentlich nachfragen wollte …
    Auch Helges Manager ist hier. Wir halten einen Plausch.
    Till wurde in Dresden geboren und verbrachte seine prägenden Jahre in der ehemaligen DDR. Er erzählt mir, daß er 20 Monate im Gefängnis war. Warum? Weil er in den Westen gehen wollte. Till sagt, daß er im Hier und Jetzt lebt und nach vorne schaut; er will sich nicht mit der Vergangenheit befassen. Aber ich bedränge ihn ein wenig.
    Die Stasi, nehme ich an, hatte eine dicke Akte über Sie.
    »Ja.«
    Haben Sie sie gesehen?
    »Ich ging zu der Behörde, in der sie aufbewahrt wird, und sah sie zwei Stunden lang ein.«
    Das ist alles?
    »Es ist eine umfangreiche Akte. Ich konnte nicht alles lesen. Ich bat sie, mir eine Kopie zu schicken.«
    Und haben sie das gemacht?
    »Ja, haben sie.«
    Was steht drin?
    »Ich habe sie nicht gelesen.«
    Sie ist bei Ihnen zu Hause, und Sie haben sie nie geöffnet?
    »Ja.«
    Sind Sie denn nicht neugierig?
    »Das ist Vergangenheit.«
    Gibt es Berichte von Bürgern, die gegen Sie aussagten?
    »Ja.«
    Zum Beispiel?
    »Mein Nachbar sagte der Stasi, ich betriebe ein Bordell.«
    Sagen Sie das noch mal –
    »Ich hatte damals viele Freunde, die mich besuchten, junge Männer und Frauen, und er glaubte, bei mir wäre ein Bordell.«
    Haben Sie diesen Mann zur Rede gestellt?
    »Nein.«
    Warum nicht?
    »Das ist Vergangenheit.«
    Finden sich noch weitere Zeugenaussagen in Ihrer Akte?
    »Vielleicht.«
    Sind Sie denn gar nicht neugierig?
    »Das ist Vergangenheit.«
    Gab es noch andere in Ihrer Familie, die Schwierigkeiten mit dem Regime hatten?
    »Mein Bruder. Gregor Gysi war sein Anwalt.«
    Sie kennen Gysi?
    »Ich habe gelegentlich beruflich mit ihm zu tun. Erst vorwenigen Tagen wollte er, daß Helge an einer Veranstaltung teilnimmt, die er an der Volksbühne organisierte.«
    Ich erzähle Till, daß ich gehört habe, Gregor Gysi sei Jude, möchte aber nicht, daß dies erwähnt wird.
    »Er ist Jude?«
    Wieso, wußten Sie das nicht?
    »Ich höre zum ersten Mal, daß er Jude ist.«
    Tills Geschichte klingt interessant, und so verabrede ich mich mit Tom Dahl, seinem Bruder. Er war Musiker, wollte aber auch raus aus der DDR. Eines Tages ging er zur Ständigen Vertretung Westdeutschlands, um ein Visum zu beantragen, und wurde anschließend von der Stasi verhaftet. Er verbrachte 20 Monate im Gefängnis.
    »Ich bat Gregor Gysi, mich zu vertreten, weil er einen guten Namen hatte. Gysi sagte mir, daß er an meine Unschuld glaube, ich aber keine Chance hätte. Er erschien viermal vor Gericht, aber das war reine Show.«
    Auch von Seiten Gregors?
    »Ja, zweifellos.«
    Etwa fünf Jahre nach dem Fall der Mauer bekam Tom seine Stasi-Akte, die aber nur Informationen über seine Zeit im Gefängnis enthielt. Was die restlichen Dokumente über ihn betraf, so wurde Tom gesagt, man werde nach ihnen suchen, wenn er sie anfordere. Hat er sie angefordert? Nein. In 15 Jahren, erzählt mir Tom, fand er nicht die Zeit, den Antrag abzuschicken. Ein vielbeschäftigter Mann.
    Wie ist Ihre Familie mit der Verhaftung umgegangen?
    »Nachdem ich festgenommen worden war, sprach mein Vater nicht mehr mit mir.«
    Nicht mehr?
    »Er war ein Kommunist.«
    Und –
    »Ich wurde zum Feind.«
    Feind?
    »Ja. Als ich im Gefängnis saß, pflegte meine Mutter mich zu besuchen, mein Vater aber wartete draußen im Wagen. Er wollte mich nicht sehen. Daran erinnere ich mich gut.«
    Haben Sie nach dem Fall der Mauer irgend jemand von denen getroffen, die Sie ins Gefängnis gebracht hatten? Zum Beispiel den Richter?
    »Nein.«
    Haben Sie versucht, sie aufzuspüren?
    »Nein. Warum auch?«
    Um ihnen zu sagen, du Arschloch?
    »Nein. Warum sollte ich das tun?«
    Ich schlage Tom ein Rollenspiel vor:
    Schauen Sie her, schauen Sie her! Hier ist er ja! Der Richter. Mann, so sagen Sie doch etwas zu ihm!
    »Du Arschloch!«
    Also das sind Ihre wahren Gefühle?
    »Ja.«
    Aber die Akte wollen Sie nicht anfordern …
    »Vielleicht. Irgendwann einmal. Wann, weiß ich nicht.«
    Tom und Till, die beiden Ostdeutschen, zwingen mich dazu, alles zu überdenken,

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