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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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meisten hier tun, darf man mich nicht fragen. Eine Sportprofessorin könnte das vielleicht erklären, ich nicht. Ich bin dafür nicht wirklich zuständig.
    Anpfiff. Von Anfang an ist klar, daß die spanischen Spieler besser sind. Sie kontrollieren das Spiel und sind meistens in Ballbesitz. Sie funktionieren auch besser als Mannschaft, stimmen sich sehr gut miteinander ab. Die mehreren tausend Zuschauer hier registrieren dies und üben sich in Zurückhaltung. Merkwürdigerweise muß ich feststellen, daß ich wider alle Wahrscheinlichkeit auf einen Sieg der deutschen Mannschaft hoffe. Gott im Himmel, werde ich zum Deutschen? Bedauerlicherweise gewinnt Spanien das Spiel. Die Zuschauer sind niedergeschlagen. Sie haben ihre Fahnen mitgebracht, aber umsonst; manche tragen sogar Kleidungsstücke, die aus Fahnen gemacht sind, dazu ihre diversen Krachmacher und Unmengen von Bier – alles in der Annahme, daß Deutschland gewinnen würde.
    Es hat nicht sollen sein.
    Menschen weinen. Manche vergraben die Gesichter in ihren Fahnen. Andere liegen am Boden wie besiegte Soldaten. Sie nehmen es persönlich, als ob in Wirklichkeit sie die Spieler wären. Mehr noch: Für sie hat Deutschland verloren, und Deutschland sind sie. Die Quelle ihres Stolzes ist versiegt. Ihre Ehre, ihr Selbstwertgefühl, ihr innerer Kern wurde geschlagen. Niedergeschmettert. Hier sehen wir einen jungen Mann, der in seiner Verzweiflung gegen eine Mauer tritt. Die Großleinwand, auf der wir das Spiel gesehen haben, zeigt nun einhemmungslos weinendes Kind. Dieses schöne blonde Wesen, das in die Nationalfarben gehüllt ist, kann einfach nicht mehr aufhören zu weinen. Die Tausende von Menschen hier schauen zu. Sie wollen das Kind trösten, aber sie können sich ja nicht mal selber trösten. Eine Gruppe Teenager liegt vor mir auf dem Stadionrasen, sie halten sich in den Armen und streicheln sich. Die Arena wirkt wie ein Bestattungsinstitut. Als ich meine Kamera auf sie richte, bitten sie mich, sie nicht zu fotografieren. Man hört keine »Deutschland!«-Rufe mehr, außer von einem einsamen Irren, der das Ergebnis offensichtlich noch nicht mitbekommen hat.

    Als ich auf dem Rückweg durch Düsseldorfs Straßen gehe, fällt mir ein Bestattungsinstitut auf – ein richtiges. Im Schaufenster sind Fußbälle und deutsche Fahnen zu sehen. Die Toten haben das Ergebnis auch noch nicht mitbekommen.
    Jetzt brauche ich einen Komiker! Wen nehme ich denn da? Ganz klar: Helge!
    Mal sehen, was ihn heute so umtreibt. Ah, darauf hätte ich selbst kommen können: Hitler.
    Erst kürzlich habe er Hitler in einem Kinofilm gespielt, erzählt mir Helge.
    Wie haben Sie sich vorbereitet?
    »Ich habe mir eine Tonbandaufnahme angehört, die der schwedische Botschafter heimlich aufgenommen hatte. Darauf hört man Hitler in einer merkwürdigen und trotteligen Weise reden. Er spricht leise, schnell und viel. So etwas wie: ›Wir haben 20000 Panzer …‹ Er hebt seine Stimme nicht, er zählt nur seine Panzer und Flugzeuge auf … Und so habe ich ihn in dem Film gespielt.«
    Wird Deutschland wieder nazistisch?
    »Wieso denn?«
    Warum nicht?
    »Dafür gibt es doch zu viele Türken, Perser, Afrikaner und Holländer hier.«
    Plötzlich erlebe ich aus heiterem Himmel einen Moment der Wahrheit und sage zu ihm:
    Ich stelle Ihnen Fragen über Politik und andere schwerwiegende Themen. Aber unter uns gesagt, woher sollten Sie es denn wissen? Unsere Generation vergöttert Popstars. Aber sind wir nicht einfach bescheuert? Ich meine, könnte ich dann nicht genausogut von Ihnen verlangen, daß Sie komplexe mathematische Gleichungen lösen, nur weil Sie es ins Showbusineß geschafft haben? Was ich mache, ist sinnlos, nicht wahr? Sie wissen es in Wirklichkeit auch nicht besser als irgend jemand sonst. Oder?
    »Stars sind Geschäftsleute. Früher hat man für solche Fragen Kant herangezogen oder große Soziologen wie Alphons Silbermann. Heute wollen wir diese Dinge von Paris Hilton oder Bastian Schweinsteiger wissen … Das ist der Grund, warum ich Ihnen sagte: Ich gebe keine Interviews mehr. Sie sind der letzte. Man soll mir diese Fragen nicht stellen. Weil ich einer der wenigen bin, der die Antworten kennt …«
    Na gut. Sprechen wir über persönliche Dinge. Hat Ihre Mutter mit Ihnen über ihre Jahre im BDM gesprochen?
    »Nein. Man spricht nicht über diese Jahre. Als Kind habe ich einmal ein Foto vom Bund gesehen, und mittendrin war ein Mann, den ich wiedererkannte: mein Musiklehrer. Ich zeigte ihm

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