Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
zum Beispiel führt von der Meerjungfrau, die einst in großartigen Geschichten wie Homers Odyssee auf verführerische Weise das Urelement Wasser mit dem nicht minder verführerischen Wesen der anmutigen Frau verbunden hat – welcher geheime Plan führt also von diesen Wesen zu jener Mutter, die einen Kindergeburtstag im Hallenbad feiert und eine (dem Anlass entsprechend völlig überdrehte) Gruppe von Fünfjährigen im Nichtschwimmerbecken zum nächsten Mitmachspiel animieren will: So steht sie dann, bis zur Hüfte im Becken, hat den Stiel eines Esslöffels in den Mund genommen, legt ein weißes Plastik-Hühnerei darauf und versucht nun (»Jötzscht mol olle hörpukken!«), schwimmend (den Kopf samt Löffel und Ei angestrengt in die Höhe reckend) den gut sechs Meter entfernten anderen Beckenrand zu erreichen. Was genau, so darf man sich bei diesem Anblick fragen, hat sich der Weltgeist dabei gedacht?
Wer die Antwort nicht im Metaphysischen sucht (im Hallenbad scheint kein Mond), muss sie im Alltag verchlorter deutscher Hallenbad-Fluten finden. Und wer sich hier umschaut, muss eingestehen, dass die anfangs beschriebene Szene eher eine Ausnahme darstellt. Nicht was das schmerzfreie Engagement von Müttern bei Kindergeburtstagen anbelangt, sondern vielmehr hinsichtlich der Tatsache, dass die meisten Mütter in den Schwimmbädern selbst gar nicht aktiv sind – etwa indem sie mit Plastikeiern balancieren. Vielmehr sind sie in ihrer Mehrzahl augenscheinlich als Beobachterinnen ihrer Kinder unterwegs: Sie schauen, wie ihr Nachwuchs schwimmen lernt. Nun ist es aber keineswegs so, dass die Väter in die Fluten stiegen und die Grundzüge des Überwasserbleibens stolz an die nächste Generation weitergeben. Nein, heute lernen die Kinder die hohe Kunst des Überwasserbleibens zumeist in Schwimmkursen. In diesen wird unter strengen Anweisungen, oft genug auch unter Tränen und gerne mit vielen altbewährten Tricks der schwarzen Pädagogik (»Wenn du nur heulst, kannst du gleich nach Hause gehen« oder »Seit wann haben Jungs Angst vor Wasser?«) den Knaben und Mädchen die Freude an dem Urelement Wasser vermittelt. Ich habe Mütter getroffen, die diese Methoden nicht gerade schön fanden, sich aber damit trösteten, dass die Kleinen danach tatsächlich schwimmen konnten. Wie auch immer: Nach meinen Erfahrungen schmeckt das Wasser mancher Nichtschwimmerbecken nach einigen Stunden Schwimmkurs immer leicht salzig – ausnahmsweise nicht wegen des Urins, sondern wegen der Tränen.
Diese Schwimmkurse für Kinder lenken den Blick zurück auf die Schwimmbadmütter und ihre vornehme Rolle als kommentierende Beobachterinnen. Im Gegensatz zum Nachwuchs sitzen sie im Trockenen, vorzugsweise haben sie ihren festen Platz im schwimmbadeigenen Café. Das Restaurant des Hallenbads, das ich mit meinem Ältesten besuche, verfügt wie viele andere auch über eine riesige Panorama-Fensterfront, die einen freien Blick auf das gesamte Schwimmbadareal eröffnet. Dort sitzen die Schwimmbadmütter bei einer traurigen Tasse Kaffee (wahlweise Tee), die für die Schwimmstunde viel zu klein ist – beziehungsweise die Schwimmstunde zu lang für die kleine Tasse. Gleichwie: Die Mütter halten sich an dieser einen Tasse als Mindestbestellung fest, strecken deren Leerung auf eine gute Dreiviertelstunde (so lange dauert nämlich die Schwimmstunde samt Umziehen), wodurch der Inhalt zwangsläufig erst lau, dann kalt wird. Aber das nehmen sie geduldig auf sich, schließlich sind sie währenddessen ja nicht untätig. Sie sind auf Posten.
Der verzweifelt mit den Fluten und der angsteinflößenden Schwimmlehrerin kämpfende Nachwuchs wird von hier aus genau beobachtet. Die einsame Schwimmbadmutter quittiert die Erfolge beziehungsweise Misserfolge nur mit leichten Veränderungen in der Mimik, mal ein leichtes Kopfschütteln, mal ein leises Knurren. Ist die Mutter in einer Gruppe da – also unter Müttern –, werden die Erfolge lautstark kommentiert, und auch für die Misserfolge anderer bleibt Zeit (in akustischer Hinsicht glaubt man bei geschlossenen Augen von Ferne einen Zug vergnügter Wildenten lustig schnatternd gen Süden ziehen zu hören).
Erfolg und Misserfolg der Kleinen werden übrigens später stolz in niedlichen Tierchen gemessen. Das Seepferdchen gibt es, einen Pinguin oder einen Delphin – unschuldige, fröhliche kleine Wesen aus Stoff, die an Badehose und Schwimmanzug genäht werden und die das frühe Leistungsstreben der Vorschulkinder
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