Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
okay?«
Felix schaute ihn teilnahmslos an, zuckte dann mit den Schultern und kehrte an seinen Computer zurück.
Ernesto ließ sich auf dem Boden neben dem Stuhl von Felix nieder. Er schaute Felix eine Weile beim Ballern zu.
Der Junge beachtete ihn nicht.
»Wie gesagt: Ich würde gerne mal ein paar Worte mit dir reden. Es geht um deinen Vater.«
Felix zerschoss gerade mit einer Laserkanone ein Panzerfahrzeug.
»Kannst du mal für einen Moment mit dem Ballern aufhören?«
Felix suchte den 360-Grad-Horizont nach Zielen ab.
»Ich kann auch mit dir spielen. Willst du das?«
Felix brachte seine Kanone in Stellung. Ein riesiges Flugzeug, das am Himmel aufgetaucht war und langsam näher kam, hatte es ihm angetan.
»Felix, wenn du nicht mit dem Ballern aufhörst, ziehe ich den Stecker raus!«, mischte Marie sich ein. Sie konnte es als Mutter nicht dulden, dass Felix sich einem Gast gegenüber so aufführte. Ernesto machte eine beschwichtigende Bewegung in Maries Richtung. Offensichtlich störte sie ihn.
Gut, dachte Marie, dann eben nicht.
Sie verließ das Zimmer, schloss leise die Tür und ging wieder nach unten, wo sie die Spülmaschine auszuräumen begann.
Sie war noch nicht fertig damit, als Ernesto in der Küche erschien. Mit dem Glas Wein in der Hand.
»Das wird nicht einfach. Vielleicht sollten Sie beide mit mir in eine psychiatrische Einrichtung kommen, wo man sich dem Jungen eingehender widmen könnte … Ich weiß, das klingt jetzt brutal für Sie. Aber wir wollen ihn ja nicht behalten. Nur eine Weile beobachten. Sie bleiben natürlich immer dabei. Was halten Sie davon?«
Marie trocknete sich die Hände am Küchentuch ab. »Das möchte ich nicht. Er braucht jetzt seine gewohnte Umgebung.«
Die Miene des Psychologen verdüsterte sich. Jetzt erst sah Marie, dass er schon alt und verbraucht war. Seine lässige Kleidung und sein unkonventionelles Auftreten sollten darüber hinwegtäuschen.
»Ich fürchte, Frau Blau, für Sie und Ihren kleinen Sohn wird das Schlimmste erst kommen. Die Sache ist noch recht frisch. Ihr Sohn versucht, sich gegen den Dammbruch zu schützen. Aber der wird kommen. Nach meinen Erfahrungen ist es ungeheuer wichtig, dass die Angehörigen permanenten Beistand haben. Es geht ja nicht nur um den menschlichen Verlust. Sie müssen ja auch mit der Belastung fertig werden, die noch dazukommen wird …«
»Was meinen Sie?«
»Den Medienrummel. Dadurch wird alles nur noch schwieriger für Sie und für den Jungen. Es wäre wirklich besser, Sie beide würden für eine Weile mit nach Berlin kommen. Wir sorgen dafür, dass Sie abgeschirmt werden. Um die Kosten müssen Sie sich keine Sorgen machen. Das trägt natürlich alles die Bundeswehr. In anderen Fällen lief das auch so. Und glauben Sie mir: Es war gut für die Betroffenen.«
Komisch, plötzlich klang dieser Ernesto sehr klar und entschieden. Als hätte er seine Maske abgelegt und würde nun nicht mehr mit verstellter, sondern mit seiner eigenen Stimme reden. Marie begann, diesem Mann zu vertrauen.
Aber dennoch blieb sie dabei: Sie wollte auf keinen Fall weg aus Koserow. »Danke, ich weiß, Sie wollen unser Bestes. Aber ich möchte das dem Jungen jetzt nicht zumuten.«
Marie sah, dass sie Ernesto damit Sorgen bereitete. Aber sie konnte nicht anders. Auch wenn sie unsicher war, wie sie mit dem Schweigen des Jungen umgehen sollte – sie spürte genau, was gut war und was nicht infrage kam. Und ein Wechsel nach Berlin kam jetzt überhaupt nicht infrage. Wenn sie Felix wieder zum Reden bringen wollte, konnte sie das nur hier schaffen.
»Sie müssen auch an sich denken, nicht nur an den Jungen«, sagte Ernesto. Es klang wie eine Drohung.
»Nein. Ich kann nicht mitkommen. Dabei bleibt’s.«
Ernesto nickte müde. Dann trank er sein Glas leer und stellte es in die obere Lade der Spülmaschine. »Trotzdem möchte ich Sie bitten, in den nächsten Tagen mit dem Jungen in die Sprechstunde nach Berlin zu kommen. Ich würde es gerne noch mal mit ihm versuchen. Wir sollten uns etwas Zeit nehmen. Ich schreibe Ihnen Adresse und Telefonnummer meiner Praxis auf. Sie müssen sich aber unbedingt vorher anmelden.«
Er kritzelte etwas auf die Titelseite der Ostsee-Zeitung, die auf dem Küchentisch lag. Dann reichte er Marie die Hand und schenkt ihr noch ein mühsames Lächeln. Im Flur streckte er den Kopf in Richtung Treppe und zirpte, als läge ein ausgelassener Kindergeburtstag hinter ihm: »Tschüss, Felix.«
Marie glaubte für einen kurzen
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