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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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danach fragte, wie es ihr nach Karls Tod ging.
    »Frau Blau, lassen Sie uns offen reden: Es ist sicher nicht einfach, so kurz nach dem Ereignis schon Auskunft über seinen Gefühlszustand zu geben. Wir können auch jetzt beide auflegen und ich rufe Sie später noch mal an. Wichtig wäre mir sicherzustellen, dass Sie nur mit mir reden, wenn Sie so weit sind. Können wir das vereinbaren?«
    Was wollte diese Frau von ihr? Sie sollte sich an sie wenden, wenn sie so weit war, über Karls Tod zu reden. Warum? »Wissen Sie, momentan bin ich etwas …«
    »Ich weiß, ich weiß. So etwas kommt ja auch nicht alle Tage vor. Trotzdem wäre uns daran gelegen, dass Sie nur mit uns darüber sprechen. Frau Blau, ich habe das Okay für ein Angebot. Das Angebot beläuft sich auf 1500 Euro. Hören Sie: 1500!«
    »1500 Euro? Aber wofür denn?«
    »Sie sollen nur mit uns über den Tod Ihres Gatten reden. Nur mit uns!«
    »Ich glaube, wir sollten das lassen.«
    »3000. 3000 Euro. Frau Blau, das sind 6000 Mark.«
    3000. Das war viel Geld.
    »Wir sind uns also einig: Sie schütten uns Ihr Herz aus. Und zwar nur uns. Ich schicke Ihnen den Vertrag sofort per Boten zu. Wenn Sie wollen, zahlt der Mann Ihnen die Summe nach Ihrer Unterschrift bar aus.«
    Marie war jetzt hellwach. »Nein! Ich unterschreibe so etwas nicht.«
    »Überlegen Sie: 6000 Mark. Dafür muss eine alte Frau lange …«
    Marie warf den Hörer auf.
    Sie ging in die Küche und schenkte sich aus der Flasche Wein, die sie für den Psychologen Ernesto geöffnet hatte, ein Glas ein. Sie trank gierig. Dann setzte sie sich auf die Couch.
    Marie musste ihre Gedanken ordnen.
    Wollte die Bundeswehr die Namen der Angehörigen nicht geheim halten? Wie kam diese Tanja dann dazu, sie anzurufen und ihr 3000 Euro dafür zu bieten, dass sie mit ihr über ihre Gefühle nach Karls Tod sprach?
    Das Telefon läutete schon wieder.
    Marie hob ab – entschlossen, diesmal loszubrüllen, wenn es die Privatradio-Redakteurin war.
    Doch es war die Redaktion von Spiegel-TV. Die Redakteurin stellte sich als Renate Glassmaier vor und fragte dann, als ob das das Normalste von der Welt wäre: »Stimmt es, dass Ihr Mann zu den fünf Toten von Kundus gehört?«
    »Woher haben Sie meinen Namen?«
    »Ganz einfach. Von der Bundeswehr«, antwortete die Journalistin.
    Diesmal legte Marie sofort auf.
     
    Am nächsten Tag nahm Marie Felix bei der Hand und ging mit ihm durch die Dünen.
    Der Junge sträubte sich nicht. Er war mit Karl diesen Weg oft gegangen: Erst etwa eineinhalb Kilometer in Richtung Zinnowitz, dann kam man auf einen schmalen Pfad, der durch das dichte Gestrüpp, das hier zwischen den Dünen wucherte, zum Strand hinunterführte.
    Es war weit. Fast eine halbe Stunde musste man gehen. Wegen den Sandverwehungen, die schnell die ausgetretenen Pfade bedeckten, kam man nur langsam voran.
    Karl hatte diesen Weg für seine Spaziergänge mit Felix ausgesucht, weil hier selten jemand herkam. Die Wanderer bewegten sich in der Nähe des Achterwassers, weil dort die Wege besser waren, und die Touristen blieben so nah wie möglich am Meer.
    Beide waren sie außer Atem. Aber dem Jungen machte die anstrengende Wanderung Spaß. Sicher wusste er auch, dass seine Mutter mit ihm dahin wollte, wohin sein Vater oft mit ihm gegangen war. Marie hatte befürchtet, er würde sich weigern mitzukommen, wenn er verstand, wohin sie wollte. Aber Felix schien keine Probleme damit zu haben.
    Wenn er doch nur reden würde. Dann könnten sie sich über das, was ihm wehtat, verständigen. Das würde für beide alles einfacher machen. Vielleicht würde es auch ihr besser gehen, wenn sie mit dem Jungen über Karls Tod reden könnte. Wahrscheinlich würden ihr sofort die Tränen kommen, wenn der Junge darüber sprach, wie sehr er seinen Vater vermisste. Aber das wäre ihr lieber gewesen als diese Leere, die sie jetzt verspürte. Ein Vakuum, das sie aufzusaugen drohte. Lange würde sie das nicht aushalten.
    Felix musste ihr helfen. Auch wenn das egoistisch war für eine Mutter, deren Sohn gerade den Vater verloren hatte. Aber wenn er ihr half, konnte sie ihm helfen. So einfach war das.
    Als Marie einfiel, dass dieser Satz auch von dem Psychologen Ernesto hätte stammen können, kam er ihr abgeschmackt vor. Sie verlor allen Mut. Was hatte das überhaupt für einen Sinn, den Jungen ausgerechnet zu dieser Bucht zu schleppen? Sie kam sich vor wie ein ehrgeiziger Forscher, dem die Gesundheit seiner Probanden egal ist – Hauptsache, er kam

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