Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Mann geliebt, aber sie konnte Menschen nicht ausstehen, die – egal, was man ihnen auch sagte – ihre Meinung niemals änderten. Das war auch etwas, was sie und Karl in letzter Zeit entzweit hatte.
Nun war Karl tot, und Marie musste ihre Kräfte sammeln. Dass sie der Schmerz nicht übermannte, irritierte sie zwar. Aber es machte auch alles leichter. Bisher jedenfalls.
Marie musste sich, wenn sie innerlich keine rechte Haltung dazu finden konnte, zumindest ein Bild davon machen, was geschehen war. Vielleicht kam sie dann auch mit ihren Gefühlen besser klar.
6.
Zur vollen Stunde schaltete sie den Fernseher ein.
Es war schon lange her, dass sie Nachrichten gesehen hatte. Sie wusste schon nicht mehr, wann das gewesen war. Auf jeden Fall vor dem Erscheinen der beiden Offiziere aus Berlin.
Als die Uhr im Bild erschien und der große Zeiger erbarmungslos gegen die 12 vorrückte, wurde Marie schlecht. Eigentlich wollte sie nichts aus Kundus hören. Vor allem wollte sie nichts sehen. Aber sie wusste, dass sie ein wenig Objektivität brauchte, wenn sie nach Karls Tod weiterleben wollte. Deshalb zwang sie sich dazu.
Sie brachten es als erste Meldung.
Die Sprecherin schaute sehr ernst und sehr verbittert drein. Das hatte man ihr sicher für den Fall, dass solche Meldungen aus Afghanistan kamen, vorsorglich eingebläut.
Hinter ihr sah man die mittlerweile sattsam bekannten Umrisse des Landes. Kabul und Kundus waren eingezeichnet.
»Bei dem verheerenden Anschlag, den ein Selbstmordattentäter in Kundus auf eine Bundeswehr-Patrouille verübt hat, kamen, wie jetzt erst bekannt wurde, insgesamt fünf deutsche Soldaten ums Leben. Wie der Einsatzführungsstab in Potsdam mitteilte, habe es ungewöhnlich lange gedauert, die Opfer zu identifizieren. Die Detonation der in einem Kleintransporter versteckten Bombe sei so stark gewesen, dass von den Fahrzeugen der Soldaten nur noch zerschmolzene Metallteile übrig geblieben waren. Die Bergung der Leichen sei dementsprechend schwierig gewesen.«
Nun sah man unscharfe Standbilder von einem tiefen Krater in einer Dorfstraße. Die umliegenden Häuser, flache Hütten aus Bruchsteinen, waren bis auf Mauerreste völlig zerstört. Die Erde war aufgeworfen und tiefschwarz.
»Die sterblichen Überreste der Soldaten sollen so schnell wie möglich von Kundus nach Termes in Usbekistan und von dort nach Köln übergeführt werden. Die Bundeswehr bereitet eine gemeinsame Trauerfeier für die toten Soldaten in Berlin vor. Das Attentat von Kundus war der bisher schwerste Anschlag mit deutschen Opfern, den die radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan verübt haben. Sowohl die Kanzlerin als auch Verteidigungsminister und Außenminister zeigten sich erschüttert von der Brutalität der Tat und sprachen den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus.«
Dann wechselte das Bild hinter der Sprecherin: Eine nervös nach unten verlaufende Bilanzkurve erschien. Die Sprecherin ging zur Finanzmarktkrise über.
Marie schaltete den Fernseher aus. Die Stille fraß sich in ihren Kopf. Marie stand auf, um eine CD in den Player der kleinen Musikanlage einzulegen.
Da läutete das Telefon.
Marie ging schnell ran, damit Felix nicht geweckt wurde.
Es war eine Frauenstimme. »Frau Blau? Sind Sie Frau Blau?«
»Wer ist denn dran?«
»Schön, dass ich Sie noch erreiche.«
Marie dachte erst, es handle sich um einen dieser Werbeanrufe aus einem Callcenter, die in letzter Zeit öfter abends kamen und bei denen die nassforschen Anrufer sich immer zuerst versicherten, ob sie wirklich den am Apparat hatten, dessen Name auf ihrer Liste stand.
»Mein Name ist Tanja Breitstein. Ich bin Leiterin der Redaktion Aktuell beim Radiosender Pfiff FM. Ich weiß jetzt nicht, kennen Sie unseren Sender?«
»Ich höre selten Radio.«
Es entstand eine Pause. Offensichtlich hatte die Anruferin nicht mit jemandem gerechnet, der ihr Radio nicht kannte.
»Frau Blau, ich würde Sie gerne interviewen. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit?«
War das eine durchsichtige Masche, um den Leuten etwas anzudrehen? Marie wurde wütend. »Sie wissen wohl nicht, wie spät es ist. Ich habe ein Kind, das um diese Zeit schlafen geht.«
»Ich weiß, ich weiß. Es dauert ja auch nicht lange. Ich möchte eigentlich nur wissen, wie Sie sich fühlen …«
»Wie ich mich fühle?«
»Ja, natürlich. Wie geht es Ihnen, nachdem Sie vom Tod Ihres Mannes in Afghanistan erfahren haben …«
Marie verstand nicht, wieso diese ihr unbekannte Frau sie
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