Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
gleich wieder einschlafen würde. Sie beugte sich über ihn und küsste ihn lange auf die Stirn. »Schlaf schön!«, hauchte sie.
Felix drehte sich zu ihr hin. »Du gehst nicht weg?«
Marie drückte ihre Wange gegen seine. Seltsam, jetzt war er ganz warm.
»Nein, ich bleibe bei dir.«
»Immer?«
»Immer.«
Er atmete ganz ruhig. Marie glaubte, im Dunkeln zu erkennen, dass er lächelte. So hatte sie ihn schon lange nicht mehr lächeln sehen. Jetzt war sie glücklich.
Marie musste nicht lange warten, bis Felix tief schlief.
Sie stand auf, schlüpfte in ihre Schuhe, die sie neben dem Bett abgestellt hatte, und schlich aus dem Zimmer. Als sie leise die Türe schloss, piepste Felix: »Mama!«
»Was ist?«
»Geh nicht runter!«
Sie konnte Gunter nicht einfach wieder fahren lassen. Zumindest einen Kaffee musste sie ihm anbieten. Es war schon nach Mitternacht, und bis er wieder in Berlin war, vergingen noch mindestens zwei Stunden. »Ich sage Gunter nur schnell auf Wiedersehen.«
»Kommst du dann wieder zu mir?«
»Ja.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Gunter wollte keinen Kaffee. »Ich kann dann die ganze Nacht nicht schlafen.«
»Kann ich Ihnen sonst etwas anbieten?«
»Wenn Sie ein Glas Wein hätten.« Er sah müde aus. Und er musste noch fahren. Aber Gunter war erwachsen, das musste er selbst wissen.
In der Flasche, die sie für Ernesto geöffnet hatte, war noch Wein. Für zwei Gläser reichte es noch. Sie ließen sich auf der Couch im Wohnzimmer nieder.
»Danke fürs Bringen«, sagte Marie.
Sie stießen an. »Kein Problem«, sagte Gunter.
Dann schwiegen sie. Es war kein ruhiges Schweigen. Es gab noch zu viele Fragen.
»Schläft Felix?«
»Noch nicht ganz«, antwortete Marie.
Gunter stellte sein Glas ab. »Wenn Sie zu ihm wollen … Ich muss mich sowieso auf den Weg machen. Nach Berlin sind es noch drei Stunden.«
Nicht mal zwei, dachte Marie.
»Ich schaue mal nach, ob er schläft. Bin gleich wieder da.«
Gunter stand auf, als sie nach oben ging. Marie zog ihre Schuhe schon auf der Treppe aus. Sie lief auf Zehenspitzen zur Tür und horchte. Felix atmete ruhig.
Als sie wieder zu Gunter kam, hatte der sein Glas ausgetrunken.
»Ich habe irgendwo noch eine Flasche Wein«, sagte Marie. Sie hatte plötzlich Lust darauf, sich zu betrinken und zu reden. Die halbe Nacht. So wie früher. Als alles noch anders war.
Marie war zu lange allein gewesen. Sie hatte, seit Karl weg war, nur noch funktioniert. Wie ein Automat, der sein Programm abspulte. Jetzt war Karl tot, das Programm war abgelaufen. Sie musste sich entspannen.
»Mehr als ein halbes Glas darf ich nicht mehr. Ich muss ja noch bis Berlin.«
»Sie können auch hier schlafen. Auf der Couch.« Marie wunderte sich selbst, wie sie dazu kam, ihm das so unumwunden anzubieten.
»Wissen Sie was? Ich nehme Ihr Angebot an. Jetzt noch nach Berlin – da kann ich morgen den Tag vergessen.«
Damit hatte Marie nicht gerechnet. Aber unangenehm war es ihr auch nicht. Also machte sie sich auf die Suche nach dem Wein. Sie fand wirklich eine Flasche im Küchenschrank – hinter den Nudeln. Die hatte sie vor Wochen gekauft, falls sie mal überraschend Besuch von einer der Mütter aus der Schule bekommen sollte. Aber die hatten abends immer alle Hände voll mit ihren Kindern zu tun. Und sonst kam sowieso niemand.
»Möchten Sie was essen?«, fragte sie, als sie den Korken aus der Flasche zog. »Ich habe noch kalte Nudeln von gestern.« Was sollte er mit kalten Nudeln? Marie stieg der Wein zu Kopf – dabei hatte sie erst ein Glas getrunken, aber sie war keinen Alkohol mehr gewöhnt.
»Wenn Sie mitessen …«
Marie hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Also tat sie Butter in die Pfanne, drehte das Gas an, wartete, bis die Butter zerlaufen war, tat die Nudeln hinein, stellte das Gas kleiner und würzte alles mit Salz, Pfeffer, Muskat und einer Fingerspitze trockener Kräuter. Sie rührte das Essen ein paar Mal um und schaute in den Kühlschrank. Eine angebrochene Packung mit Reibekäse war zwar schon angeschimmelt – aber war das beim Käse nicht sogar gut? Sie entfernte die schimmeligen Brocken – wobei sie darauf achtete, dass Gunter es nicht sah. Dann streute sie den Käse über die Nudeln.
Als er zerlaufen war, stellte sie das Gas ab und verteilte die Nudeln auf zwei Teller, brachte sie ins Wohnzimmer und stellte sie auf den Tisch. Dann holte sie zwei Gabeln und die Riesenflasche mit Ketchup, die Felix für alles brauchte.
Gunter hatte Wein
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