Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
nicht viel gefehlt und wir hätten uns getrennt. Aber dann habe ich doch zu ihm gehalten. Mit dem Geld wollte er für uns ein Geschäft aufbauen. Ich konnte Karl nicht alleinlassen. Dann hätte er Kundus nie durchgestanden.« Und gefasster: »Das ist Krieg. Eine Frau verlässt ihren Mann nicht, wenn er in den Krieg zieht.«
Marie musste sich schnäuzen. Sie ging in die Küche, um sich ein Stück Küchenrolle zu holen. Als sie sich wieder auf die Couch setzte, legte Gunter seinen Arm um sie. Er tat das nicht gerade geschickt und auch eher wie ein Seelsorger als wie ein Mann. Deshalb ließ Marie es zu. Sie lehnte sich zurück und entspannte sich.
Gunter nahm die Flasche Wein und sagte: »Ich schenke uns nochmal nach, ja?«
Marie hielt ihm ihr Glas hin. »Gerne.«
Der Wein tat ihr gut. Seit Langem hatte sie sich nicht mehr so wohl gefühlt.
10.
Marie schreckte hoch. Sie hatte höchstens eine Stunde geschlafen. Ihr Kopf schmerzte. Als sie sich aufsetzte, spürte sie einen Stich im Magen. Der Wein.
Felix stand an ihrem Bett. »Darf ich zu dir?«
Marie hätte lieber weitergeschlafen. Es ging ihr nicht gut. Aber sie lüftete die Decke. »Komm schon!«
Im gleichen Augenblick wusste sie, dass das ein Fehler war. Sie deckte sich schnell wieder zu. Sie war nackt. Aber das war noch nicht alles.
»Mama, mir ist kalt!«
Marie sammelte sich. Wenn sie jetzt aufstand, wurde ihr sicher schwindelig. Aber es musste sein. Sie erhob sich. Die Bettdecke wickelte sie um sich. Nicht weil sie sich vor dem Jungen schämte, weil sie nackt war. Sie brauchte einen Schutz. Der Alkohol wütete noch in ihrem Kopf. »Wir gehen rüber«, sagte sie und schob ihn vor sich her.
Doch der Junge bockte.
»Was macht der in deinem Bett?«
Marie drehte sich um. Gunter schlief friedlich. »Die Couch war zu klein. Und ich konnte ihn in der Nacht nicht nach Berlin zurückschicken. Außerdem hatte er was getrunken.«
Felix stampfte auf. »Das ist Papas Platz!«
Marie zog ihn am Ärmel zur Tür. »Komm! Das geht dich nichts an.«
Felix machte sich los. Der Junge war wütend. »Das sage ich Papa. Dass diese Arschgeige bei dir im Bett geschlafen hat.«
Marie rutschte der Boden unter den Füßen weg. »Papa ist tot, er wird nicht wiederkommen. Es interessiert ihn nicht mehr, wer in meinem Bett schläft.«
Sie war so laut geworden, dass Gunter aufwachte. Er hob den Kopf. »Ist was passiert? Felix, was ist?«
Er machte den Jungen noch wütender: »Ich weiß, dass Papa lebt. Er hat mit mir telefoniert.«
»Das war ein Reporter, dein Vater kann nicht mehr telefonieren!« Marie schnappte mit der Rechten die Hand des Jungen, mit der Linken hielt sie die Bettdecke über ihrer Brust fest.
Das Telefon läutete.
»Das ist er!« Felix riss sich los und rannte hinaus.
Marie folgte ihm. Das Telefon lag auf dem Tisch im Wohnzimmer. Auf der Treppe schob sie Felix unsanft beiseite. Sie war trotz der Bettdecke vor ihm am Telefon.
Marie hob ab. Es war mitten in der Nacht. Wenn das jetzt wieder ein Journalist war, konnte der sich auf etwas gefasst machen.
»Marie«, sagte eine Stimme. »Ich bin es. Hat Felix dir gesagt, dass ich angerufen habe?«
Marie erstarrte. »Ich dachte, du bist tot«, flüsterte sie.
»Du darfst niemandem glauben, Marie. Und niemandem etwas erzählen. Nichts. Auch nicht, dass ich angerufen habe. Verstehst du? Das geht nur uns beide etwas an. Es ist alles – sehr schwierig. Ich muss mich eine Weile verstecken. Sag dem Jungen, dass ich wiederkomme! Und … Marie: Ich liebe dich.«
Marie kamen die Tränen. »Ich dich auch.«
»Ich muss jetzt aufhören. Sonst orten sie mich. Nimm dich in Acht! Traue niemandem! Vor allem nicht, wenn einer kommt und sagt, er sei ein Freund von mir.«
Karl legte auf.
Felix stand neben Marie.
»Wer war das? Papa?«
»Ja«, sagte Marie.
»Und? Glaubst du mir jetzt?«, fragte der Junge.
Marie beugte sich zu ihm hinunter. Sie küsste ihn. »Verzeih mir!«
Der Junge umarmte sie. Er schien aufzuatmen. »Jetzt weißt du’s auch«, seufzte er.
»Wer war denn das?« Gunter stand auf der Treppe. In grünen Boxershorts und einem T-Shirt.
»Eine Freundin«, sagte Marie schnell, ohne Felix loszulassen. Dann entschlossen: »Würdest du jetzt bitte gehen? Ich muss mich um meinen Sohn kümmern.«
11.
Karl lebt, dachte Marie.
Er lebt wirklich.
Wie das kam, konnte sie sich nicht erklären. Er hatte am Telefon zu wenig gesagt. Und sie war nicht dazu gekommen, ihm mehr Fragen zu stellen. Vieles, was sie
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