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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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kraftlos. Als ginge es um ein Seminar oder um die Klärung eines harmlosen Nachbarschaftsproblems.
    »Warum nicht?«
    »Warum nicht – was?«
    »Warum haben Sie die Leiche meines Mannes nicht nach Deutschland überführen können?«
    »Weil wir ihn nicht haben.«
    »Weil Sie ihn nicht haben? Was heißt das denn?« Marie fragte sich, wie weit Ernesto ging. Er musste doch wissen, dass Karl am Leben war.
    Ernesto senkte den Kopf. Es sah aus, als meditiere er. Sie schwiegen beide.
    Marie wartete darauf, dass Ernesto sich erklärte. Doch Ernesto sagte kein Wort.
    Irgendwann schüttelte er sich wie ein Hund, sprang auf und begann, in dem leeren Zimmer umherzulaufen.
    Marie fragte sich, was ihn plötzlich in eine solche Unruhe versetzt hatte. Sie schaute ihm eine Weile zu. Er redete leise mit sich selbst, bewegte die Lippen und grimassierte dabei. In seinem Inneren schienen sich heftige Kämpfe abzuspielen.
    »Nun setzen Sie sich doch endlich wieder hin!«, bat Marie. »Ich dachte, wir wollten reden.«
    Er blieb stehen, als hätte eine Mauer ihn gestoppt. »Sie haben ja keine Ahnung.«
    War das jetzt ein Trick oder wusste dieser Ernesto sich wirklich kaum noch zu helfen? »Dass ich keine Ahnung habe, stimmt womöglich. Nur, wenn es so ist, sind Sie nicht ganz unschuldig daran, oder?«
    Für einen Moment sah es so aus, als würde Mitleid ihn übermannen. Dann ließ er sich kraftlos auf seinen Stuhl plumpsen. Er rieb sein Gesicht mit beiden Handflächen. Schließlich räusperte er sich und setzte sich auf.
    »Wir haben uns da in eine schwierige Lage begeben. Afghanistan ist ein Hexenkessel. Fast täglich gibt es Anschläge. Für unsere Kameraden dort ist der Dienst eine ungeheure Belastung. Manche verkraften das nicht. Wenn wir bemerken, dass etwas nicht stimmt, holen wir sie sofort raus.«
    »Was hat das mit meinem Mann zu tun?«
    »Ihr Mann ist ein guter Soldat gewesen. Er hat gelernt, dem Druck standzuhalten. Bis zu einem gewissen Punkt. Dann hat er es nicht mehr ausgehalten.« Ernesto wirkte jetzt zerknirscht. Er breitete wie um Vergebung bittend beide Arme in Hüfthöhe aus. »Es tut mir leid: Aber wir haben versagt.«
    »Sie? Sie persönlich oder die hier?« Marie machte eine ausholende Armbewegung: Sie meinte den Apparat, der im Bendlerblock und im Kanzleramt saß und diesen Krieg zu verantworten hatte. Immerhin sind das ganz neue Töne, sagte sie sich. Dass bei der Bundeswehr Fehler gemacht wurden, hatte ihr bisher noch niemand gesagt.
    »Wir. Wir alle. Ich und meine Kameraden. Wir hätten es früher bemerken müssen. Es gibt Anzeichen. Die Häufigkeit der Korrespondenz mit der Familie. Wenn Soldaten sich vom Gemeinschaftsleben im Stützpunkt zurückziehen. Wenn sie nicht mehr reden. Bei Ihrem Mann waren wir uns sicher, dass er es durchsteht. Dann ist es passiert.«
    Marie saß kerzengerade. Sie glaubte, dass sie langsam zum Kern des Ganzen vordrang. »Was ist passiert?«
    »Der Zusammenbruch. Er hat es nicht mehr ausgehalten. Ihr Gatte ist desertiert.«
    »Desertiert? In Afghanistan?«
    »Ja. Er war nicht mehr der, den Sie kennen. Seine Persönlichkeit hatte sich verändert. Einen Tag vor dem Anschlag hat er auf einer Patrouille seinen Kameraden mit der Waffe bedroht und sich abgesetzt. Mit seinen Waffen. Um es deutlich zu sagen, Frau Blau: Ihr Mann ist übergelaufen. In voller Montur.«
    »Aber wohin kann er …«
    Ernesto unterbrach sie harsch. »Wohin? Wohin? Wohin kann man in Afghanistan schon gehen, wenn man überlaufen will? Bestimmt nicht zu den Amerikanern.« Er lachte etwas gekünstelt.
    »Was gibt es da zu lachen?«
    »Ihr Mann ist zu den Taliban übergelaufen«, fuhr Ernesto sie an, als wäre sie es gewesen, die Karl dazu überredet hatte.
    »Das würde Karl nie tun!«
    Sofort wurde Ernesto wieder sanfter. »Wie gesagt: Der, der das tat, war nicht Ihr Mann. Es war eine andere Person.«
    Zu den Taliban übergelaufen? Karl sollte jetzt auf der Seite des Feindes kämpfen? Gegen seine Kameraden? Undenkbar. Nicht Karl.
    »So etwas würde mein Mann nie tun«, sagte Marie schon wieder. »Sie kennen ihn nicht …«
    Ernesto beugte sich vor und legte seine Hand auf ihr Knie.
    »Das ist schwer zu verstehen, ich weiß. Wir haben sofort versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Wissen Sie, Kundus ist ein Nest. Dort gibt es überall Spione. Von beiden Seiten. Karl hat sich denen gestellt. Bedingungslos. Die Taliban haben ihn einfach eingesammelt. Wir sind dem Trupp gefolgt. Wollten Ihren Mann … befreien. Aber es hat

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