Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
nichts. Es blieb drückend heiß.
Marie atmete schwer. Ihr wurde übel.
Sie hatte genug. Sie nahm ihre Tasche und wollte hinaus auf den Flur. Da war es wenigstens kühl. Sie konnte doch ebenso gut draußen auf den Staatssekretär warten.
Die Tür ließ sich nicht öffnen.
Hatten die beiden sie eingeschlossen?
Marie konnte sich nicht erinnern, das Geräusch eines sich drehenden Schlüssels gehört zu haben. Dann hätte sie natürlich reagiert. Sie ließ sich doch nicht einschließen.
Die Tür war zu.
Marie rüttelte an der Klinke. Nichts.
Sie drückte die Klinke runter und zog mit ihrer ganzen Kraft an der Tür. Vielleicht klemmte sie ja nur. Dieser Bendlerblock war doch uralt. Hier hatte Stauffenberg schon gesessen und vor ihm die Generäle des Kaisers. Da war es doch kein Wunder, wenn mal eine der schweren Türen klemmte.
Aber die Tür klemmte nicht. Sie war abgeschlossen.
Diese Schnösel hatten Marie eingeschlossen.
Sie war gefangen. Eine Gefangene der Bundeswehr.
Marie ging zu den Fenstern. Sie versuchte, eines davon zu öffnen. Doch der metallene Griff ließ sich nicht bewegen. Sie probierte alle Fenster durch. Alle waren verschlossen.
Marie suchte ihre Tasche ab. Ihre Hände zitterten, als sie die Tasten auf ihrem Handy drückte. Es dauerte ewig. Dann kam die Anzeige. Kein Netz. Sie probierte es noch zwei Mal. Dann war klar: Dieser Raum, vielleicht sogar der gesamte Bendlerblock, war abgeschirmt. Möglicherweise waren es die dicken Mauern aus dem vorigen Jahrhundert. Auf jeden Fall gab es hier keine Handyverbindung.
Marie spürte ihr Herz schlagen. Es pochte wie eine Höllenmaschine.
Gleich würde sie schreien.
Sie ging zu dem Stuhl. Jeder Schritt kostete sie Kraft, als wäre sie an die Wand gekettet. Sie setzte sich auf den Stuhl und legte die Hände flach auf ihre Oberschenkel. Sie musste sich auf etwas anderes konzentrieren, auf etwas Schönes, auf etwas, das sie beruhigte.
Marie wollte nicht hysterisch werden. Sicher war in diesem Raum eine Kamera versteckt. Marie sah sich um. Ihre Augen suchten die Wände ab. Dann die Decke. Vor allem die Ecken. Dort konnte man am ehesten etwas verbergen. Aber sie fand nirgendwo eine Linse. Nicht einmal einen winzigen Punkt, der auf eine Optik hindeutete. Alles war plan und einförmig grau.
Die beiden jungen Männer, die sie hier eingeschlossen hatten, saßen irgendwo in einem Kabuff und schauten ihr dabei zu, wie sie durchdrehte. Das war wie eine Peepshow.
Marie wollte sich diese Blöße nicht geben. Nicht vor denen.
Sie schloss die Augen.
Der Schweiß kitzelte sie im Nacken. Sie verbat sich, sich dort zu kratzen.
Das Atmen wurde immer anstrengender. Marie hörte ihre Bronchien, sie stachen bei jedem Atemzug. Jetzt lief ihr der Schweiß aus den Achseln an der Seite herunter. Marie hasste es zu schwitzen. Sie schwitzte nie. Wenn sie schwitzte, war etwas nicht in Ordnung.
Sie musste die Bluse ausziehen. Es war ihr egal, ob diese Kerle ihr dabei zusahen oder nicht. Sie hielt die Hitze einfach nicht mehr aus. Sie wollte nicht das Bewusstsein verlieren. Das war schlimmer für sie, als ohne Bluse dazusitzen. Immerhin hatte sie noch einen BH darunter.
Die Schuhe zog sie auch aus. Es waren robuste Straßenschuhe. Extra für die Reise nach Berlin ausgewählt. Es tat gut. Die Füße konnten atmen. Sie streckte sich aus.
Der Schweiß hörte auf zu rinnen. Sie wurde ruhiger.
Doch das hielt nicht lange an. Ob diese Kerle die Heizung höher stellen konnten?
Sie wollte nicht aufstehen und zu der Fensterfront gehen. Das würde sie zu sehr anstrengen.
»Bitte, hilf mir!«, sagte sie leise. Sie sprach mit Karl.
Er hatte sie in diese Situation gebracht. Hatte er nicht geschworen, auf sie und das Kind aufzupassen? Ja, das hatte er. Kurz nach der Geburt von Felix. Ohne dass sie ihn dazu aufgefordert hätte. Sie brauchte solche Schwüre nicht. Aber Karl hatte es geschworen.
Und jetzt?
Jetzt war sie im Berliner Bendlerblock eingeschlossen und hatte Angst zu ersticken. Und er irrte durch Kundus. Auf der Flucht vor seinen Kameraden.
Maries Wut auf Karl wuchs. Sie schickte ihm stumme Flüche nach Afghanistan. Sie verhöhnte ihn – den starken Mann, der für sie und ihr Kind eine bessere Zukunft hatte erkämpfen wollen. Dabei war ihre Gegenwart gar nicht schlecht gewesen. Bis er nach Kundus gegangen war.
Du bist ein Vater. Und? Kümmerst du dich um deinen Sohn? Du rufst ihn alle paar Tage an und jagst ihm Angst ein. So etwas tut ein Vater nicht. Ein Vater ist bei
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