Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
abgeschossen worden.«
»Nein. Die Amerikaner hatten damit gar nichts zu tun. Seine Kameraden sind dem Trupp gefolgt, dem Karl sich angeschlossen hatte. Als sie sie nicht kriegen konnten, haben sie eine Rakete auf sie abgeschossen.«
»Auf Karl?«
»Ja. Sie wollten keinen deutschen Deserteur bei den Taliban.«
»Aber Karl war gar nicht mehr in dem Konvoi«, sagte Marie, als sie sich wieder etwas gefasst hatte. »Er hat überlebt.«
23.
Es war schlagartig kalt geworden. Vom Meer her kamen in immer kürzeren Abständen Böen. Jedesmal schlug den beiden feiner, grauer Regen ins Gesicht, der nach Salz schmeckte und Sandkörner auf den Lippen zurückließ.
Marie kannte den direkten Weg durch den Dünengürtel. Sie kamen nicht durch den Ort und begegneten keinem Menschen.
Diesmal öffnete sich schon nach dem ersten Läuten der Schiffsglocke die Tür der Kate.
Egon war misstrauisch, als er sah, dass Marie in Begleitung war.
»Es ist ein Freund von Karl aus Kundus. Der Militärgeistliche. Er muss sich verstecken. Seine Schwester ist bei mir. Sie wird ihn wegbringen.«
Egon starrte die Besucher mit offenem Mund an.
»Es ist bestimmt nicht für lange. Vielleicht nur eine Nacht. Sie sind hinter ihm her.«
»Wer ist hinter ihm her?«, fragte Egon.
Gunter trat vor. »Die Polizei. Sie behaupten, ich hätte mit den Taliban kooperiert.«
Egon lachte kehlig. »Ein Geistlicher? Mit den Taliban? Das ist doch ’n Witz.«
Er ließ die beiden in sein Häuschen.
Gunter sah sich etwas beklommen in der dunklen Kate um.
»Ich glaube, ich mache uns erst mal einen Grog«, erklärte Egon aufgeräumt. Er wirkte geselliger als sonst. »Und dann erzählen Sie mir Ihre Geschichte! Ich bin übrigens ein Freund von Karl gewesen.« Er wurde wieder schwermütig. Doch dann reichte er Gunter die Hand – und Marie fand, dass sie die beiden allein lassen konnte.
Pia saß mit Felix vor dem Fernseher. Es roch nach Tomatensoße. In der Küche stand ein Topf mit Spaghetti auf dem Herd. »Felix hatte nach dem Eisessen Hunger«, sagte Pia. »Da habe ich ihm einfach was gemacht. Ist doch in Ordnung, oder?«
Marie begrüßte Felix. Dann nahm sie sich einen Teller Nudeln mit Soße und setzte sich damit an den Küchentisch. Sie war müde.
Pia erschien in der Tür. »Und? Wie war es?«
Marie sprach leise. Sie wollte nicht, dass Felix etwas mitbekam. »Gunter sieht nicht gut aus. Er ist seit Tagen unterwegs.« Marie aß weiter. Sie fuhr mit vollem Mund fort. »Aber keine Angst, er ist trotz allem wohlauf.«
Pia nahm neben Marie Platz. »Und …wo ist er jetzt?«
»Ganz in der Nähe. Bei Egon, einem Freund von Karl. Er hat ein Häuschen in den Dünen. Dort kann Gunter bleiben. Ich wollte nicht, dass er hierher kommt. Wegen Felix nicht.« Pia musste nicht erfahren, dass Gunter bei ihr übernachtet hatte. »Und weil nicht klar ist, ob sie das Haus überwachen.«
Pia nickte. Sie wirkte noch bedrückter als am Mittag.
»Freust du dich denn nicht?« Marie versuchte zu lächeln. »Du kannst zu ihm. Es ist nicht weit. Ich bringe Felix ins Bett und du gehst zu deinem Bruder …«
Pia zog den Kopf ein, ihr langes Haar verdeckte das Gesicht. Ihre Schultern zuckten. Sie weinte.
Marie wollte sie in den Arm nehmen. Doch dann ließ sie es. Etwas hinderte sie daran. Etwas stimmte nicht.
»Was hast du?«
Pia zog die Beine an. Sie verkroch sich. Wie ein kleines Mädchen.
»Sag mir, was du hast!« Marie wurde ärgerlich – schließlich war sie allein losgezogen, um Pias Bruder abzuholen. Was war mit ihr los?
»Ich habe nachgedacht«, sagte Pia leise. »Ich finde, Gunter sollte sich stellen. Was soll ihm schon passieren? Er hat doch nichts getan. Es wird sich bestimmt alles aufklären.« Sie griff unter ihren Strickpullover und zog ein zerknülltes Päckchen Zigaretten hervor. Die Tränen tropften unter den Haaren hervor. »Darf ich eine rauchen?«
Marie hatte Pia noch nie rauchen sehen. Sie roch auch nicht wie eine Raucherin. »Geh bitte raus auf die Terrasse«, sagte Marie. »Wegen Felix.«
Pia erhob sich. Das Zigarettenpäckchen zerdrückte sie fast in der Faust. Sie zog die Nase hoch. »Kommst du mit?«
Marie aß erst ihre Nudeln auf. Dann folgte sie Pia auf die Terrasse und schob die Tür hinter sich zu. Der Rauch sollte nicht in die Wohnung ziehen.
Pia stand mit verschränkten Armen da, gegen das Glas der Tür gelehnt, und rauchte. Ihre Nasenspitze war rot. Nach einer Weile löste sie sich von der Tür und legte ihren Kopf auf Maries
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