Allem, was gestorben war
allmählich von den Abgasen zerfressen. Die Oscarsschnellstraße zog sich wie eine lebensgefährliche Bahn zwischen Stadt und Fluss dahin.
Die Göteborger konnten ihr Wasser nicht mehr erreichen. Jetzt wurden glänzende Paläste am Fluss gebaut, für Hotels, Verwaltung und Kultur, aber das eigentliche Leben fand in Wohnungen und Parks statt und nicht am Wasser, das während der trockenen, warmen Abende träge dahinfloss. Beim Askimsbad versammelten sich abends die Einwandererfamilien, aber das passte nicht ins schwedische Kulturmuster. Die Luft zwischen dem großen Anleger und den Klippen war erfüllt vom Duft nach gegrilltem Fleisch und Paprika. Kinder spielten im lauwarmen Wasser, das sich in kleinen Lagunen zwischen den Dünen gesammelt hatte. Die alten Frauen schauten über das Meer, weit über die Felsnase an der bohusländi-schen Küste hinaus. An windstillen Abenden mussten die Surfer und Segelboote von acht Pferdestärken zurück an die Anleger gezogen werden.
Kerstin Johansson überquerte den Parkplatz und ging an dem Bunker des staatlichen Schnapsladens auf der Karl Johansgatan vorbei. Heute Abend wollte sie ein Glas Weißwein trinken, deutsch und kühl, sogar kalt, gegen Mitternacht in der Küche bei geöffneter Balkontür und leiser Untermalung aus dem Radio. Allein, aber sie war gern allein.
Der Laden brütete still vor sich hin. Sie sah in die mit Gittern versehenen Schaufenster. Hatte sie noch eine Flasche zu Hause?
Die Straßenbahn der Linie 3 kam vom Chapmans Torg heruntergerumpelt und sie lief rasch in Richtung Haltestelle am Jaegerdorffsplatsen. Sie kam gleichzeitig mit der Bahn an. Der Waggon war fast leer, sie sah zwei junge Mädchen ganz hinten und ein älteres Paar mitten im Wagen. Sie setzte sich in die vierte Reihe von vorn, auf einen Fensterplatz.
Wie immer kam jemand noch später. Ein Mann stieg ein und ging an ihr vorbei, den Blick geradeaus gerichtet. Blond, kurze Haare, ziemlich kräftig. Das Gesicht kam ihr irgendwie bekannt vor. Und wie so oft dachte sie, wie sinnlos es war, sich erinnern zu wollen, wo sie sein Gesicht schon einmal gesehen hatte. Sie nahm ein Buch aus dem Rucksack.
Wahrscheinlich hatte sie ihn in der Straßenbahn bei irgendeiner Fahrt gesehen - so war es meistens.
Der Mann setzte sich drei Reihen hinter Kerstin Johansson.
Er sehnte sich nach einem kalten Bier. Er konnte das tulpenförmige Glas vor sich sehen, ohne die Augen zu schließen. Es war ein Wahnsinn, am heißesten Tag des Jahrhunderts in den Vergnügungspark zu gehen, selbst wenn es bald Abend wurde. Viel zu viele waren von diesem Wahnsinn erfasst. Der Park füllte sich rasch. Die Schlangen wurden immer länger.
Wide holte sein Portmonee aus der Brusttasche seines dünnen, rotblau karierten Baumwollhemdes und zählte sein Geld. Das dauerte nicht lange. Es reichte für einen kleinen Imbiss, vielleicht Würstchen. Er hatte sich an ein unregelmäßiges Einkommen gewöhnt. Letzte Woche hatte eine Klientin angerufen. Beweismaterial für eine Scheidung nach einer langen und quälenden Trennung. Sie wusste jetzt, dass der Mann eine andere hatte, und wollte es bestätigt haben. Morgen musste er mit dem Auftrag anfangen. Die Frau wollte nicht mehr warten.
»Habt ihr Durst? Ich fühl mich wie ein Kamel nach drei Wochen in der Wüste.«
»Ich will Limo.«
Jon zog eifrig an seinem rechten Arm. Elsa drehte den Kopf weg.
»Ich will nichts. Wir sind doch noch nicht in der Villa Raufundrunter gewesen.«
Sie ging auf eine Fußgängerbrücke zu, die zur Villa und zum Skatedance führte, diesem Wahnsinnskarussell. Er musste fast laufen, um mit ihr Schritt zu halten. Sie sah weg, und er musste sich vor sie hinkauern, um ihr in das kleine verschlossene Gesicht zu sehen. Er war ja nicht blöd, er wusste, worum es ging.
»Du möchtest auch eine Limo, Elsa ... und ich auch.«
Ein Teil ihres Gesichtes öffnete sich.
»Du möchtest eine Limo?«
»Das ist das Einzige, was gegen die Hitze hilft.«
Jon hatte sie eingeholt.
»Ich will eine Cola. Ich hab keinen Hunger. Ich will nur Eis.«
Jonathan Wide sah seine Tochter an.
»Und du, Elsa? Hast du nicht auch ein bisschen Durst?«
»Doooch .«
Er richtete sich auf und nahm die Hände der Kinder in seine: »Eigentlich will ich zwei haben! Eine Fanta und noch eine Fanta!«
Elsa kicherte, und ihr Gesicht glättete sich, wie wenn jemand am Morgen das Kopfkissen glatt streicht.
Jon fiel ein:
»Ich will eine Cola und noch eine Cola! Und ein Eis und noch ein Eis!«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher