Allem, was gestorben war
und sie blieben eine Weile am Wasser stehen, neben der Oper. Er fragte sie, ob sie schon mal drinnen gewesen war, hörte bei ihrer Antwort aber nicht zu. Ihm selbst gefielen Opern nicht. Zu viele Gefühle, zu große Gesten, zu viel Lärm, um einen Gedanken auszudrücken. Die Oper beinhaltete Bilder von Menschen, die vom Leben selbst erhöht wurden, das war nicht gerade nach seinem Geschmack. Jetzt fragte sie ihn etwas, und er nahm den Blick von dem verdammten Mausoleum. »Wie bitte?«
»Und du selbst? Magst du Opern?« »Kann ich nicht gerade behaupten.« »Ich würde gern etwas darüber lernen.« »Warum?«
»Ja ... ich hab das Gefühl, man sollte Opern mögen. Vielleicht lernt man das, wenn man sich damit beschäftigt.«
Was für ein dämliches Gerede. Er überlegte, ob sie zu denen gehörte, die auch im Bett quasselten, heulten und schrien oder die ganze Zeit Fragen stellten, auf die man nur mit Grunzen antworten konnte. Manche nahmen alles ernst. Fredrik Björcke überlegte, ob er sich die Nacht etwas kosten lassen und ihr etwas beibringen sollte, was ihr wirklich gefiel.
»Ich hab zu Hause Opernmusik.«
Jetzt warf sie ihm wieder so einen Blick zu. Er war nicht mehr sicher, ob er das mochte.
»Das glaub ich dir.«
»Höre ich Ironie in deiner Stimme?«
»Warum glaubst du das?«
Statt zu antworten, lenkte er sie wieder auf die Stadt zu. Die Nacht war noch ein Kind.
15
Es war ein Ritual geworden. Fünf Minuten nach zwölf vor dem südlichen Eingang, direkt vorm Schalter, eine schnelle Fahrt für Jon junior im Gratiskarussell auf dem Weg zum Märchenschloss. Hej, hej, hej, ihr Kinder, ein mechanischer Bariton, der munter und durchdringend über ganz Liseberg tönte und gleich weiter über die Wohnanlagen von Alexanderson auf der anderen Seite des Mölndalsvägen. Die Anwohner hatten sich wohl daran gewöhnt, an die Gesellschaft auf ihren Balkonen an den Sommernachmittagen. Es gab unangenehmere Nachbarn als den Vergnügungspark.
Sie waren immer früh hier gewesen. In einer Stunde würden die Schlangen vor den meisten Attraktionen lang sein, und es war anstrengend, in der sengenden Sonne zu warten.
Darum hatte Wide diesmal eine Ausnahme gemacht. Liseberg am späten Nachmittag würde ein Erlebnis für die Familie werden, den Rest der Familie, aber den vitalen Rest, hatte er gedacht.
Die Kinder zitterten vor Erregung, als er die Eintrittskarten an ihren Handgelenken befestigte. 195 Kronen für unbegrenzten Zugang zu allen Attraktionen. Das könnte zehnmal Schiffschaukel für Elsa bedeuten oder siebenmal hintereinander in der Kaffeetasse oder voller Todesverachtung fünfmal mit der Lisebergbahn. Wide tat sich schwer mit der Lisebergbahn und all den modernen Teufelsfahrzeugen. Ihm gefiel es nicht, über Kopf zu fahren, dreißig Meter über dem Boden, kopfüber still dazuhängen und die Menschen dort unten zu sehen, wie sie nach oben starrten, passiert diesmal etwas?, konnte man sich wirklich auf all die Jugendlichen verlassen, die sich mit selbstverständlicher Nonchalance um die Maschinen kümmerten?
Liseberg bedeutete auch für ihn die Zeit der Jugend, die Mädchen neben der Achterbahn, der alten, ächzenden, rasselnden, Schreck einflößenden Berg-und-Tal-Bahn. Der Platz reichte gerade für eine junge Frau und seinen starken Oberarm daneben. Was tat man nicht alles für die Liebe. Hinterher war ihm jedes Mal schlecht gewesen, aber er hatte gelacht und war mit geschwellter Brust zum Spiegelkabinett gewankt. Einmal hatte er vor lauter Nervosität die Eintrittskarte zerrissen, während er in der Schlange wartete, hielt, als er sein Ticket vorzeigen sollte, nur mehr eine Hand voll Fetzen in der Hand und musste dann zur Seite gehen, während Eva, Ulla, Karin oder wie das Mädchen auch immer hieß, auf Abenteuerreise gegangen war.
Zuckerwatte nach dem Märchenschloss war auch ein Ritual.
»Warum kommt Mama nicht mit?«
Die erwartete Frage, als er die Kinder vorm Haus abgeholt hatte. Sie hatten einander angeschaut, Elisabeth hatte zunächst den Blick abgewandt. Es gab kaum noch etwas zu erklären.
»Ich hab heute was anderes zu erledigen, Jon.«
»Wir haben bestimmt auch zu dritt viel Spaß.«
Er hatte seine Stimme gar nicht richtig wiedererkannt.
Elsa hatte nichts gesagt. Die Vermittlungsversuche des Bruders, die kleinen Keile, mit denen er das Gleichgewicht wiederherstellen wollte, hatte sie hinter sich. Meine Eltern sind geschieden, das hatte sie andere in der Schule sagen hören, leise und verlegen.
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