Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
Exposés legte sie achtlos beiseite. „Da werde ich heute Abend hineinschauen.“
Also ergab Talitha sich der Schere, die von Mr Jordan so meisterhaft geschwungen wurde. Sie hatte sich vorgenommen, ihn nicht zu mögen; noch nie zuvor war sie jemandem begegnet, der sich so affektiert benahm wie der klapperdürre Friseur. Sie war davon überzeugt, dass er geschminkt war, und seine weichen Hände wurden sicherlich manikürt. Sobald er jedoch die zarten Finger an ihr Haar legte, ließ er das Herumtänzeln sein und wurde beeindruckend professionell. Eine Stunde lang bürstete, steckte, schnitt und lockte er, schnitt erneut, bis er schließlich einen Schritt zurücktrat und zu den Damen gestikulierte, damit sie das Ergebnis seiner Arbeit bewunderten. Die überschwängliche Begeisterung hätte auch den schwierigsten Künstler zufriedengestellt.
„Na also“, triumphierte Lady Parry schließlich. „Jetzt bist du bereit für deinen ersten Ball.“
Der Earl of Arndale akzeptierte ein Glas Brandy von seinem Cousin und lehnte sich in dem Stuhl am Feuer zurück. „Hör auf, an diesem Halstuch herumzuspielen“, wies er William an, der zum dritten Mal in den Spiegel sah und an der Goldnadel herumnestelte, von der die gestärkten Falten aus blassem, lavendelfarbenem Leinen zusammengehalten wurden.
William gehorchte und setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. „Wie lange brauchen sie denn noch?“, fragte er ungeduldig. Gelegentlich begleitete er seine Mutter zu Bällen, nie jedoch brauchte sie so lange, um sich ausgehfertig zu machen, dass die Pferde in die Ställe zurückgeschickt werden mussten.
„So lange, wie es eben dauert, damit Tante Kate bei ihrem Auftritt genau den richtigen Moment erwischt“, erklärte Nick träge, schwenkte die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas und bewunderte die Art und Weise, wie das Licht sich darin brach. „Sie wartet, bis diejenigen da sind, die sie zu beeindrucken wünscht, ist aber so früh, dass es nicht schon zu voll ist.“
„Bloß warum?“, brummte William. „Normalerweise kann sie gar nicht früh genug ankommen, um noch den neuesten Klatsch auszutauschen.“
„Ich denke, wir werden es gleich herausfinden.“ Gelassenheit vortäuschend, stand Nick bemüht langsam auf. Er schlenderte hinaus ins Vestibül, dicht gefolgt von William, und stellte sich am Fuß der Treppe in Positur. Um die gesamte Länge der polierten Mahagonistufen im Blick zu haben, musste er den Kopf in den Nacken legen.
Jetzt hörte er, wie sich die Schlafzimmertüren öffneten. Sie mussten nicht mehr lange warten. Schwach drang Lady Parrys Stimme zu den Männern ins Vestibül hinab. „Geh du zuerst.“ Einen Augenblick später wurde eine Erscheinung sichtbar.
Nick dachte, er würde auf den Anblick gefasst sein, doch das, was er nun zu sehen bekam, traf ihn absolut unvorbereitet. Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt, gewandet in durchscheinende, silbern schimmernde Gaze über weißem Crêpe de Chine, schwebte die Treppe hinab, eine weiß behandschuhte Hand auf dem Geländer.
Riesige grüne Augen und eine angespannte Miene verrieten, wie viel Mühe es sie kostete, Haltung zu bewahren und gleichzeitig die Schöße der empfindlichen Röcke in den Griff zu bekommen, ihre vollen, roten Lippen waren vor Nervosität leicht geöffnet. Ein Strahlenkranz goldener Haare, die sich aus der Masse der aufgesteckten Haare stahlen, betonte ihre zarte Haut. Als sie näher kam, bemerkte er, wie blass sie war. Die weichen Locken, die ihre Schläfen umspielten, zitterten leicht.
Talitha sah bezaubernd aus. Gleichzeitig wirkte sie jedoch vollkommen verschreckt und zum ersten Mal, seit er sie kannte, schmerzlich verletzlich. Verschwunden waren die Anzeichen für ihren wilden Drang nach Unabhängigkeit, verschwunden auch dieses wütende Glitzern in den Augen, wenn er sich mit ihr stritt, sowie die Maske reservierter Gelassenheit, hinter der sie sich mit all ihren Geheimnissen so unverschämt gut zu verbergen verstand.
Nicks ganzer Körper versteifte sich. Er wurde vor Verlangen geschüttelt, gepackt von einer Leidenschaft, die das drängende Bedürfnis in ihm wachrief, sie zu beschützen. Er wollte sie in seine Arme schließen, sie zum nächsten Bett tragen – oder den nächsten Teppich, ein Sofa – oder sie an Ort und Stelle im Flur besitzen. Gleichzeitig war er entschlossen, jeden Mann, auch sich selbst, davon abzuhalten, nur den kleinen Finger an sie zu legen, koste es,
Weitere Kostenlose Bücher