Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
‚junge Dame‘, ich bin eine unabhängige Frau. Ich habe mir meinen Lebensunterhalt bisher selbst verdienen müssen und gedenke, dies auch weiterhin zu tun. Ich werde Miss Gower auf ewig dankbar sein für diese wunderbare Erbschaft und Lady Parry für die Gelegenheit, eine Ballsaison mitzuerleben. Doch nächstes Jahr um diese Zeit muss ich wissen, was ich tun und wie ich den Rest meines Lebens verbringen will. Darauf muss ich mich jetzt vorbereiten.“
„Aber du wirst den Rest deines Lebens als irgendjemandes Ehefrau verbringen“, erwiderte er und sah sie an. Und diese ver… ver… verdammte Augenbraue hob sich, als wäre sie eine vollkommene Idiotin.
„Ach, tatsächlich, Mylord? Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt. Ich habe mir meinen Lebensunterhalt als Hutmacherin verdient. Ich habe nichts, was für mich sprechen würde …“ Er öffnete den Mund, doch Talitha ließ sich nicht aufhalten. „Und bevor du sagst, dass mein Vermögen für mich spricht, muss ich sagen, Mylord , dass ich lieber weiter Hüte fertige als einen Mann zu heiraten, der mich wegen meines Vermögens nehmen will.“
„Du denkst, dass dein Vermögen das Einzige ist, was für dich spricht?“ Nick packte sie an den Schultern und drehte sie herum, sodass sie dem großen Spiegel gegenüberstand, der über dem Kamin hing. „Sieh dich an.“
Und Talitha sah sich an. Eine junge Frau blickte sie an, etwas größer als der Durchschnitt, bekleidet mit einem modisch geschnittenen Kleid aus lindgrünem Stoff, der sich an volle Brüste schmiegte und eine schlanke Figur umspielte. Ihre großen Augen waren von etwas dunklerem Grün als das des Kleides, die Lippen voll und leicht geöffnet. Auf den hohen Wangenknochen lag ein rosa Schimmer.
Hinter ihr stand ein hochgewachsener Mann, die Hände fest auf ihre Schultern gelegt. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel – die ihren groß und erstaunt, die seinen dunkel und so glühend, wie sie sie nie zuvor gesehen hatte.
„Wenn du dein Haar etwas lockerer tragen würdest …“ Seine Hand näherte sich den Haarnadeln, von denen die goldenen Massen streng emporgehalten wurden.
Mit einem erstickten Aufschrei wirbelte Talitha herum und fand sich an Nicks Brust wieder. „Nein!“
„Nein?“ Er fragte nicht wegen ihrer Frisur. Seine Stimme hatte einen dunklen, rauen Klang. Seine Hände lagen wieder auf ihren Schultern und zogen sie jetzt unerbittlich zu ihm hin. „Nein?“
Sie sollte zurückweichen. Sie sollte nein sagen. Sie sollte … sie sollte sich von ihm küssen lassen.
Talitha verschloss ihre Augen vor dem Feuer in den seinen und hörte auf, sich gegen ihn zu wehren. Seine Hitze, ihr von der Begegnung im Atelier noch gut in Erinnerung, schien sie durch den Stoff ihres Kleides hindurch zu verbrennen. Dass er eine solche Ausstrahlung hatte – männlich, aufregend, überdeckt von dem zivilisierten Hauch eines herben Rasierwassers – hätte sie sich dagegen nicht vorstellen können.
Nicht im Traum hätte sie wissen können, wie sich sein Mund auf dem ihren anfühlen würde, ihr erster Kuss. Dass seine Lippen sowohl weich als auch fest sein konnten, fordernd und doch sanft. Dass ihre vor Schreck geöffneten Lippen sich ihm ohne ihr Zutun weiter öffnen würden und sich seine Zunge – welch ein Schreck – kosend hineindrängen würde. Nicht im Entferntesten wäre ihr in den Sinn gekommen, dass ein behutsamer Kuss ausreichte, ihre Brüste schmerzen zu lassen und seltsame, ungewohnt lustvolle Botschaften ihren Leib hinabzuschicken …
Keuchend schrak Talitha zurück, und Nick ließ sie auf der Stelle los. Seine Augen waren dunkel, sein Atem kam in kurzen Stößen, doch die emotionslose Maske der Selbstbeherrschung war bereits wieder am Platz. Als sie den Fehler beging, den Blick vor ihm zu senken, musste sie entsetzt feststellen, wie unzureichend diese modisch engen Hosen waren, wenn es darum ging, erweckte männliche Leidenschaft zu verbergen.
Röter als ich bin, kann man gar nicht mehr werden, dachte Talitha kopflos, während sie Zuflucht hinter einem Stuhl suchte. Und ich habe gedacht, Nicholas Stangate gäbe mir ein Gefühl von Sicherheit! Ich muss verrückt gewesen sein. Blind und taub. „Mylord …“
„Cousin Nicholas.“
„Das war alles andere als verwandtschaftliches Gebaren!“ Sie konnte ihn nicht ansehen.
„Cousins dürfen sich auch küssen. Und adoptierte ganz sicher. Es tut mir leid, wenn ich dir Unbehagen bereitet habe,
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