Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
alles herunterspielen zu wollen. „Meine liebe Miss LeNoir, es handelte sich um ein harmloses Missverständnis …“
„Deinerseits“, ließ sich eine frostige Stimme vernehmen. Drei Köpfe wandten sich um. Nachlässig an einen Kleiderständer gelehnt, stand Nicholas Stangate in der Garderobe. Eine halb bekleidete Sängerin lief zu ihm hinüber und umarmte ihn. „Nicht jetzt, Liebes“, wehrte er sie abwesend ab und gab ihr einen Klaps auf ihr wohl proportioniertes Hinterteil. „Sei ein braves Mädchen und geh bitte.“
Talitha bemühte sich um eine feste Stimme, bevor sie ihn warnte. „Wenn du ihm hier etwas antust, gibt es eine Schlägerei.“
„Ich weiß. Eine Versuchung, oder? Ich könnte ein bisschen Aufregung gebrauchen … der einen oder anderen Art. Aber wir wollen die Damen ja nicht in Verlegenheit bringen, nicht wahr, Hemsley? Warum machst du nicht, dass du wegkommst, und ich bringe sie nach Hause?“
So würdevoll er konnte, stolzierte Hemsley zur Tür. Nick sah ihm nicht einmal hinterher und verpasste so den hasserfüllten Blick, den der andere Mann Talitha von der Tür aus zuschoss. Das wirst du noch bereuen, versprach dieser Blick. Sie erschauerte. Jetzt hatte sie sich einen Feind geschaffen, einen gefährlichen Feind, und Nick ebenfalls.
Talitha drehte sich um und sah ihn erwartungsvoll an. Was würde er tun? Viel wichtiger, was würde er vor Millie und einer möglichen Zuhörerschaft betrunkener Dandys verlauten lassen?
„Haben Sie Ihre Umhänge, meine Damen? Wenn Sie dann so weit wären, Miss LeNoir?“ Er eskortierte sie entschlossen nach draußen, eine breite Schulter dem Tollhaus zugekehrt, in das sich der Raum mehr und mehr verwandelte.
In dem Labyrinth der Gänge schien Nick sich erstaunlich gut auszukennen. „Sie haben einen bewundernswerten Orientierungssinn, Mylord“, bemerkte sie hintergründig. Ihre Nerven ließen sie langsam im Stich, am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen. Da war es schon besser, Seitenhiebe zu verteilen.
„Überhaupt nicht“, erwiderte er glatt und nahm ihr damit den Wind aus den Segeln. „Ich kenne dieses Haus nur sehr gut.“
Ach wirklich, empörte Talitha sich innerlich, während sie zuließ, in Richtung Bühnenausgang gesteuert zu werden. Und genau welche Sängerin hast du dabei unter deine Fittiche genommen, Cousin Nicholas?
Draußen wartete eine geschlossene schwarze Kutsche ohne Wappen. Mit einem erleichterten Seufzer lehnte Millie sich in die weichen Polster und lächelte Nick charmant an. Er schob die Blenden von einer der Laternen, und das luxuriöse Innere der Kutsche wurde sichtbar.
„Vielen Dank, Mylord, ich bin Ihnen wirklich außerordentlich dankbar. Tallie … Miss Grey war so mutig, sich Mr Hemsley in den Weg zu stellen. Ich war bisher tatsächlich sehr von ihm eingenommen.“ Für einen Moment zeigte ihr hübsches Gesicht einen Anflug von Traurigkeit, dann fing sie sich wieder. „Ich weiß jetzt, dass ich mich noch viel mehr in Acht nehmen muss.“
Talitha beugte sich vor, um ihr den Arm zu tätscheln, und warf Nick einen warnenden Blick zu. Millie brauchte keine Belehrungen darüber, wie gefährlich ihre Situation war.
Nick zog lediglich eine Augenbraue hoch und sagte: „Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Ihr Talent auf andere Weise zu nutzen, Miss LeNoir?“
Millie lächelte. „Ich weiß, dass ich als Solistin nicht gut genug wäre. Meine Stimme trägt nicht weit genug.“
„Auf einer Opernbühne vielleicht nicht, da mögen Sie Recht haben. Ich dachte dabei eher an private Feiern, musikalische Abende vor ausgewähltem Publikum oder dergleichen. Man müsste natürlich sehr gut überlegen, welche Angebote man annimmt und welche nicht, außerdem bräuchten Sie einen Fahrer und eine Anstandsdame. Dennoch glaube ich, dass Sie sehr gut damit verdienen könnten – und Sie wären solchen Beleidigungen und aufdringlichen Aufmerksamkeiten wesentlich weniger ausgesetzt.“
Mit großen Augen starrte Millie ihn an, dann klatschte sie vor Freude in die Hände. „Oh, ja! Oh, Mylord, vielen Dank – das wäre genau das Richtige.“
„Ich kann dir ein paar Empfehlungen schreiben für den Anfang“, bot Talitha ihr an. „In kurzer Zeit wirst du deine eigene Empfehlung sein. Und, Millie, ich habe hin und her überlegt, was ich dir für ein Geschenk machen könnte – darf ich dir deine Anstandsdame für das erste Jahr bezahlen?“
Als sie schließlich
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