Aller guten Dinge sind vier
es nicht Las Vegas ist. Vegas ist Glitzer von oben bis unten. In Atlantic City locken weniger die Lichter als die guten Parkmöglichkeiten. Die Casinos stehen an der Promenade, aber auf die Promenade pfeifen hier alle. Nach Atlantic City fährt man nicht des Meeres wegen. Nach Atlantic City fährt man des Rummels wegen. Und wenn man zu den Senioren gehört, um so besser. Hier ist die Einkehr zur letzten Chance.
Die Slums schließen nahtlos an die Hintertüren der Casinos an. Da Jersey mit Perfektionismus nichts am Hut hat, ist das kein Problem. Und wenn man erst durch ein paar Slums durch muß, um ins Schlaraffenland zu kommen – halb so schlimm. Man kurbelt sein Autofenster hoch, sperrt die Tür ab und gondelt an Dealern und Zuhältern vorbei zum Parkhaus, wo einem ein aufmerksamer Parkwächter den Wagen abnimmt.
Es ist alles sehr anregend.
Schön, es ist also nicht Las Vegas, aber Monte Carlo ist es auch nicht. Man sieht kaum Versace-Roben in Atlantic City. An den Würfeltischen sitzen immer irgendwelche Typen mit angeklitschtem Haar und einem dicken Ring am kleinen Finger. Und immer stehen irgendwelche Frauen, die wie Barsängerinnen aufgemacht sind, neben den schmierigen Typen mit den dicken Ringen. Hauptsächlich jedoch sieht man in Atlantic City fünfundsechzigjährige Frauen in Trainingsanzügen aus Polyester, die mit Eimern voll Vierteldollarmünzen auf dem Weg zu den einarmigen Banditen sind.
Ich könnte mit Lula und Sally jederzeit nach New York oder Vegas fahren, und wir würden überhaupt nicht auffallen. Nach Atlantic City paßten wir wie die Faust aufs Auge.
In Viererreihe traten wir in den Saal und ließen uns vom Lärm einhüllen, während wir die Kulisse bestaunten – die gespiegelte Decke, den 3-D-Teppich. Die blendenden Lichter, die wogende Menge. Wir schritten durch den Saal, und alten Männern fiel die Kinnlade runter, Croupiers verschlug es die Sprache, Kellnerinnen blieben stehen wie angewurzelt, Chips fielen zu Boden, Frauen starrten uns mit der ungläubigen Neugier an, die im allgemeinen entgleiste Züge auf sich ziehen. Als hätten sie noch nie einen zwei Meter großen Transvestiten und eine Zwei-Zentner-Schwarze mit Ringellöckchen gesehen, die aufgetakelt war wie Cher an einem schlechten Tag.
»Gut, daß ich gestern meinen Scheck von der Sozialhilfe gekriegt hab«, bemerkte Großmama mit Blick auf die Spielautomaten. »Ich spür’s, heut hab ich Glück.«
»Und was darf’s für Sie sein?« sagte Lula zu Sally.
»Black Jack!«
Und schon waren sie alle drei weg.
»Vergeßt nicht, nach Maxine Ausschau zu halten«, rief ich ihnen hinterher.
Ich streunte eine Stunde lang im Saal rum, verlor beim Würfeln vierzig Dollar, bekam aber für ein Fünf-Dollar-Trinkgeld ein freies Bier. Maxine sah ich nirgends, aber das überraschte mich eigentlich auch nicht. Ich suchte mir einen Platz mit guter Aussicht und ließ mich nieder, um die Leute zu beobachten.
Um halb zwölf erschien Großmama und ließ sich neben mir auf einen Stuhl fallen. »Am ersten Automaten hab ich zwanzig Dollar gewonnen, dann ist’s umgeschlagen«, berichtete sie. »Der ganze Abend war nur noch eine einzige Pechsträhne.«
»Hast du noch Geld übrig?«
»Keinen Penny. Aber ganz verschwendet war’s trotzdem nicht. Ich hab einen netten Mann kennengelernt. Er hat mich am Zwei-Dollar-Automaten angequatscht, daran kannst du sehen, daß er kein Knicker ist.«
Ich zog die Augenbrauen hoch.
»Du hätt’st mit mir zusammenbleiben sollen. Für dich hätt ich auch noch einen gefunden.«
Das fehlte mir gerade noch.
Ein kleiner weißhaariger Mann kam auf uns zu. »Hier ist Ihr Manhattan«, sagte er zu Großmama und reichte ihr ein Glas. »Und wer ist das?« fragte er, sich mir zuwendend. »Das muß Ihre Enkelin sein.«
»Das ist Harry Meaker«, sagte Großmama zu mir. »Harry ist aus Mercerville und hatte heute abend auch nichts als Pech.«
»Ich hab immer Pech«, erklärte Harry. »Mein Leben lang hab ich Pech gehabt. Ich war zweimal verheiratet, und beide Frauen sind mir weggestorben. Im letzten Jahr hab ich einen doppelten Bypass gekriegt, und jetzt machen die Arterien schon wieder zu. Ich spür’s. Und schauen Sie sich das an! Sehen Sie die rote schuppige Stelle da auf meiner Nase? Hautkrebs. Nächste Woche laß ich’s rausschneiden.«
»Harry ist mit dem Bus hergekommen«, bemerkte Großmama.
»Prostataprobleme«, erläuterte Harry. »Ich muß gehen. Der Bus fährt in einer halben Stunde. Den will ich auf
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