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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Brüste? Wenn sie jetzt so darüber nachdenkt, stand beides wahrscheinlich in unmittelbarem Zusammenhang.
    «Entschuldigung», sagt Harris. «Es geht gerade irgendwie ziemlich rund.»
    Judy schaut von ihrer Zeitung auf. «Jumping Jack hat keine Chance beim Zwei-Uhr-Zehn in Newmarket.»
    Einen Moment lang sieht Len Harris verärgert aus, dann grinst er. «Nein, aber wir wollen ja auch nicht, dass er in Cheltenham in eine zu hohe Ausgleichsklasse kommt. Wird ihm ganz gut tun, mal ein paar Rennen zu verlieren.»
    «Was sagen denn die Besitzer dazu?»
    Len Harris zuckt die Achseln. «Die sitzen in Dubai. Die kriegen das gar nicht mit.»
    Judy steht auf. «Tut mir leid, das mit Ihrem Chef.»
    Harris hat kein Gesicht, dem man Gefühlsregungen allzu leicht ansieht, doch für einen kurzen Augenblick schaut er tief betroffen drein. «Schlimme Geschichte. War was ganz Besonderes, der Chef. Manche hielten ihn ja für arrogant, aber hier im Stall war er immer einer von uns. Und die Pferde hat er geliebt, er kannte sich richtig gut mit ihnen aus.»
    «Was wird denn jetzt aus dem Rennstall?»
    Harris’ Miene verdüstert sich. «Hängt wohl sehr von den Kindern ab. Caroline würde ihn sicher gern übernehmen, aber sie hat zu wenig Erfahrung. Randolph ist zu nichts nutze. Und Tamsin ist in London. Ich nehm mal an, der Stall wird verkauft. Die ersten Besitzer holen ihre Pferde schon weg.»
    «Jetzt schon?»
    «Aber klar. Die Rennszene ist nicht gerade sentimental, wissen Sie.»
    Das weiß Judy allerdings. Sie fragt sich, was wohl aus Len Harris wird, sollte der Stall tatsächlich verkauft werden. In Norfolk gibt es zwar genügend Rennställe, aber er scheint fast schon ein bisschen zu alt, um noch auf Jobsuche zu gehen.
    «Ich soll mir die Überwachungsbänder ansehen», sagt sie. «Kann ich das irgendwo in Ruhe machen?»
    «Ja. Bei Caroline im Haus gibt es ein Zimmer dafür. Ich hab den Schlüssel hier irgendwo.» Er sieht ein paar Schlüsselbunde durch, die über dem Schreibtisch hängen. Kein besonders sicheres System, denkt Judy.
    Als sie auf den Hof hinaustreten, hört man aus einer der Boxen am anderen Ende einen dumpfen Aufprall und Hufeschlagen. Harris rennt sofort los. Judy folgt ihm.
    In der Box ist ein Brauner ungelenk zu Boden gegangen: fast sitzend, die Vorderbeine durchgestreckt, die Hinterbeine eingeknickt. Er verdreht die Augen und hat sichtlich Schmerzen. Zwei Stallburschen mühen sich damit ab, das Pferd wiederaufzurichten, zerren am Zaumzeug und stemmen sich gegen den Rumpf. Len betritt die Box und packt mit an, stützt sich mit beiden Beinen an der Wand ab, um mit dem Rücken schieben zu können.
    «Was ist denn passiert?», fragt Judy.
    «Er wollte sich wälzen», antwortet Len keuchend. «Wahrscheinlich eine Kolik.»
    Judy sieht, dass der Bauch des Tieres gebläht ist, ein klares Symptom einer Kolik. Das Pferd leidet offenbar furchtbare Schmerzen, es brüllt förmlich, und das Weiß seiner Augen ist gelblich verfärbt. Sie wirft einen Blick auf die Plastikkarte an der Stalltür. Das Pferd heißt Fancy, ein vierjähriges Hengstfohlen.
    «Wollen Sie nicht den Tierarzt rufen?»
    «Der ist schon unterwegs», gibt Len schroff zurück. «Können Sie uns jetzt vielleicht allein lassen? Das Haus ist gleich am Tor.»
    Judy überquert den Hof mit Fancys gequältem Wiehern im Ohr. Sie ist zutiefst erschüttert. So etwas gehört dazu, wenn man Pferde hält, das weiß sie, aber sie kann den Ausdruck in den Augen des armen Tieres einfach nicht vergessen. Hoffentlich kommt der Tierarzt bald. Tierärztin wollte sie früher auch mal werden, bis sie erfahren hat, dass man dafür mindestens drei Bestnoten in der letzten Schulabschlussprüfung braucht.
    Judy hat sich Caroline als elegante Erscheinung vorgestellt, die erwachsene Ausgabe der Mädchen, die sie früher im Reitstall immer so eingeschüchtert haben. Doch die Frau, die ihr schließlich öffnet, hat nicht die leiseste Ähnlichkeit mit der Vorort-Lady im Twinset, die Judy sich ausgemalt hat. Im Gegenteil: Caroline sieht furchtbar aus, das dunkle Haar zerzaust, die Augen rotgeweint und verquollen. Sie trägt Jeans und hat ihr Oberteil verkehrt herum an. Judys Erklärungen, wer sie ist und was genau sie will, schenkt sie kaum Beachtung.
    «Ich dachte, Sie wären meine Schwester, Tamsin», sagt sie. «Sie wollte aus London herkommen.»
    «Mein Beileid zum Tod Ihres Vaters», sagt Judy.
    Caroline treten die Tränen in die Augen. «Es kommt mir so unfassbar vor, dass er nicht

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