Alles auf Anfang! (German Edition)
Einkaufstüten so schwungvoll vom Arm gleiten ließ.
"Na bravo!" Lisa nahm die Tüte
und stellte sie in ihre Badewanne. Ein Drittel der kostbaren Flüssigkeit konnte
sie noch retten. Den Rest spülte sie mit der Brause in den Abfluss.
"So etwas Blödes!" Im ersten
Augenblick ärgerte Lisa sich über ihre Unüberlegtheit, dann aber sah sie direkt
wieder das Positive an der Sache. Dadurch blieb ihr erspart, den Korkenzieher
in einer der acht Umzugskisten zu suchen. Sie war sich auch nicht wirklich
sicher, ob sie ein solches Küchenutensil überhaupt ihr eigen nennen konnte.
Lisa holte sich ein Saftglas aus dem Küchenregal und goss den Rest durch ein
Sieb ein.
Mit dem alten, ehemaligen
"Senfkristall" in der Hand ließ sie sich auf eine der Umzugskisten
plumpsen. Ein kleines bisschen Einsamkeit schlich in ihr Herz. Wirklich nur ein
kleines, kleines bisschen, doch es reichte, um ein paar Tränen zu vergießen. Ob
sie es jemals schaffen würde, einen geordneten Haushalt zu haben, wie ihre
Schwester Mona? Die hatte alles immer prima im Griff und war super
durchorganisiert. Sechs Sektgläser zu passenden Biergläsern, Weingläsern samt
Dekanter. Zur Hochzeit mit Ludger hätte sie bestimmt jede Menge dieser tollen
und praktischen Dinge geschenkt bekommen. Gleichzeitig hieß das natürlich auch,
dass sie sich von ihrem Sammelsurium alter Tassen und ausgedienter Töpfe hätte
trennen müssen. Gardinen passend zur Tischdecke. Geschmackvolle Dekoration auf noch
geschmackvoller arrangiertem Tisch, natürlich farblich abgestimmt zu den
vorgesehenen Stuhlhussen.
Nein, sie - Lisa Seiler, die liebenswürdige
Chaotin - passte nicht in ein so perfekt durchgestyltes Bild. Sie liebte
Wohnungen, die lebten und in denen gelebt wurde. Sie fand ihren Sammeltick
reizvoll. Flohmärkte und Sperrmüll nach Brauchbarem zu durchforsten war ihre
Leidenschaft. Alt und neu zu kombinieren, zu improvisieren und aus Nichts etwas
Einzigartiges zu erschaffen. Da machte Lisa so schnell niemand etwas vor. Sie
legte keinen Wert auf eine Designerküche, sondern entwarf lieber selber eine.
Das dauerte zwar dementsprechend länger, aber es bedeutetet einen willkommenen
Ausgleich zu ihrem trockenen Bankjob, den sie nur ihrer Mutter zuliebe gelernt hatte.
"Kind, du musst etwas Ordentliches
lernen!"
Insgeheim träumte Lisa davon,
Schauspielerin zu sein. Heute hier und morgen dort. Ein ungebundenes Leben aus
dem Koffer. Manchmal wäre Lisa gerne ein bisschen wie Mona, deren Herz
niemals diese unstillbare Sehnsucht, aus Tagträumen geboren, abverlangte. Doch
der Himmel hatte ihr Flügel geschenkt und ihrer Schwester Wurzeln.
Lisa hatte sich vorgenommen, so peu à peu
die Räume zu gestalten. Sie mochte keine Tapeten und wollte ihre Wände mit
Wischtechnik bearbeiten. Das Wohnzimmer in einem warmen Orange-Ton, die Küche
in Gelb, das Schlafzimmer in lindgrün.
Das alte Bad war winzig, die Kacheln in
einem blassen Vanille-Ton. Dieses kleine Reich hatte sie schon fertig. Die
Wände oberhalb der Fliesen hatte sie in einem hellem Blau gewischt und etwas
gelb darüber getupft. Eine Muschelbordüre zierte nun den Übergang von Kachel
und Wand, was auch neben dem maritimen Aussehen den positiven Effekt hatte,
unsauber gearbeitete Stellen am Rand zu vertuschen.
Ein paar Farbtupfer zierten immer noch die
Fliesen, aber Lisa liebte ihre kleine Duftoase, wie sie liebevoll ihre kleine
Nasszelle nannte. Sie hatte ihr schon oft die gewünschte Entspannung gebracht,
wenn sie müde von der Arbeit kam.
Ein paar Kerzen auf dem Badewannenrand, ein
schönes Glas Rotwein (sie besaß immerhin zwei Burgunderkelche) und Schmusemusik
von Eros Ramazotti. Schon war sie wieder entspannt und glücklich.
Das erneute Klingeln des Telefons riss sie
aus ihren Gedanken. Vom guten Dallmayr beschwingt hob sie ab.
„Seiler!“, säuselte sie in den Hörer.
„Na, das man dich mal erreicht! Wo treibst
du dich denn immer rum. Die Miete für eine Wohnung könntest du dir eigentlich
sparen, du bist ja nie da!“
Das war der personifizierte Vorwurf in
Gestalt ihrer Mutter am anderen Ende der Leitung. Ihr war eindeutig eine Laus
über die Leber gelaufen! Und dieser Laus konnte Lisa nicht einmal 684 Kilometer
von ihrem Geburtsort entfliehen. Super!
„Mamilein!“
Sie würde am Telefon auf keine
Konfrontation eingehen.
„Wie geht es dir denn? Du, ich war nur ein
bisschen shoppen. München ist sooo schön!“
„Na, das ist ja schön für dich. Hauptsache
dir geht es gut. An den
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