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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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mit spitzem Blick und dann fängt er an, sich in den Hüften zu wiegen, was ganz schön gespenstisch ist, und Otto pustet noch ein Lied und der Russe tanzt auf den Fußspitzen herum wie Diabolus aus der Hölle, bevor er seine Opfer grillt, und Muttel, Piefke und Lotte sind regungslos wie Statuen und dem Toten läuft der Brei aus dem offenen Mund und die Leuchtbirnen werfen zuckende Schatten an die Wand der Waschküche und Otto spürt das Lied und das Leben und die Traurigkeit in den Bewegungen des Soldaten und er bemerkt, dass er sich warm in die Hosen macht, Großes und Kleines gleichzeitig und schließlich nimmt der Russe die Uzi hoch und flucht und schimpft und schluchzt und schießt in die Fliesen, in die Wand, in die Decke, und alles splittert und platzt auseinander, ballert das ganze Magazin leer, dreht sich um, noch immer fluchend und heulend, die Treppe hoch, hinaus, hinaus in den Krieg.
    Er ließ vier Lebende zurück, die mehrere Tage lang nur noch unzureichend hören konnten, weil ihre Trommelfelle von der Lautstärke der Schüsse eingerissen waren und deren Augen noch Stunden später vom Putz und Staub der zerstörten Fliesen brannten.
    Die Russen zogen weiter, saufend, obwohl es noch nicht Abend war, vergewaltigend, sie machten Gefangene und pissten auf deutsche Gräber. In der Ferne grollte Kanonendonner. Die Front kam immer näher. In der Nähe heulten Tiefflieger, die mit ihren tödlichen Garben das Leben von Alten, Müttern und Kindern auslöschten.
    Das war die erste und einzige Heldentat im Leben von Otto Jäckel gewesen. Seitdem war nichts mehr da, alles leer, nur noch Fassade.
    Noch heute graust es ihm, wenn die Sirenen über Berlin zum Feueralarm losheulen, graust es ihm vor Schnee und wenn alles weiß wird, da nur beim Gedanken an die nasse Kälte seine Zehen zu schmerzen anfangen und er Muskelkrämpfe im Oberschenkel bekommt oder er weinen muss, wenn jemand in einem Fernsehkrimi stirbt und mit starren Augen in die Kamera glotzt.
    Zu viele Tote hatte er während des Trecks am Straßenrand liegen gesehen - Erschossene, Erschlagene, Typhusopfer - und er hatte erlebt, wie Muttel dem kleinen Piefke erklärte, die da, die Verrenkten, Verhungerten, Erfrorenen, würden nur schlafen - nur schlafen!
    Komm nach Hause, Gina, denkt Otto. Komm nach Hause und hilf mir. Wie soll ich meiner Schwester zukünftig in die Augen schauen, wie meinem Freund und Schwager gegenübertreten?
    Wie soll ich mit mir ins Reine kommen, wenn es in meiner Seele keine aufregende Wärme mehr gibt, sondern nur noch blasser Wintersonnenschein herrscht?
    Trotzig setzt er die Flasche an die Lippen, leert diese mit wenigen Zügen und fällt seufzend hintenüber, während Professor Grzimek über Ein Platz für Tiere moderiert.
     
     
     

4
     
    Am nächsten Tag machen Gina und Ottilie die Messehalle unsicher.
    Trends.
    Frisch eingetroffen aus Swinging London.
    Batik ist der neueste Schrei von morgen, Modeschöpfungen, die bunt und grell sind, wie zum Beispiel Schlaghosen, knallenge Hosen mit seitlichem Beinschlitz oder mit Schlitz vorne, eventuell noch mit Goldkettchen und mit Knöpfen verziert, Beatstiefel, grell bunte Hemden, breite Gürtel mit Riesennieten, seidene Halstücher, die etwas schwuchtelig wirken, Jesussandalen und dergleichen. Die Mädchen werden weite lange Röcke tragen, bequeme Jeans, transparente Blusen oder Netzunterhemden, was sehr gewagt ist. Hippiemode.
    Gina kauft Ware, verhandelt mit Großhändlern, Ottilie assistiert und die Welt hat alle Farben des Frühlings.
    Eine Vogue gerät ihr in die Finger wie ein bunter, zufällig vorüberflatternder Schmetterling. Dort liest sie, dass man von den Revolutionaries spricht, darüber, dass die junge Mode endgültig gesiegt hat. Die Jugend ist das Modevorbild schlechthin. Alles verkauft sich gut, was poppig und shocking ist, wie zum Beispiel T-Shirts mit Comic-Strip-Abzeichen oder knalligen Pop-Art-Motiven, knielange Stiefel in allen Schockfarben mit Sternen und Blumen übersät, dazu passende Umhängetaschen sowie Jeans mit bunten Applikationen, Uhren in Bonbonrosa und Grasgrün.
    Und überall in der Halle Bilder von Twiggy. Mit ihrer knabenhaften Figur, den Maßen 78 –55 –80, ist sie das absolute Schönheitsideal, die ‚teuerste Bohnenstange der Welt’ und beeinflusst die gesamte Mode.
    Zu dünn, zu hager. Nichts für Männer, denn die stehen auf pralle Titten. Arme Twiggy! Du wirst nichts mit deiner Magerkeit bewirken. Nicht auf Dauer. Frauen müssen aussehen

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