Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
dann mit meinem schlechten Benehmen, denn ich gab mir Mühe.
Und Mühe respektiert Mama.
Aber habe ich in all den Jahren gelernt, Mama zu respektieren?
Ich hatte so viel Zeit, um Verständnis zu entwickeln, denn wer will sich schon verhalten wie ein kleines Mädchen?
Aber ich will nicht sein wie Mama.
Nicht so wie Papa.
Nicht so wie Tom.
Nicht so wie Tante Gina.
Welcher Weg ist der richtige für mich? Wohin würde ich gehen, ließe man mich?
Ich finde keine Antwort auf diese Frage, stehe an der Kreuzung mit jenen vier Schildern und ringsherum ist nichts als Ebene und Wege bis zum Horizont, kerzengerade, langweilig gleich, einer wie der andere.
Manchmal flüchte ich und möchte mich klein und jung fühlen. Dann nehme ich meinen Teddy in den Arm und drücke meine Nase in sein Fell, das nach Staub und Kindheit riecht.
Teddy ist geduldig, lässt alles mit sich machen und guckt nur lieb und grinst.
Manchmal, wenn ich im Dämmerlicht tappe und letztendlich nicht weiß, wohin, tröstet Teddy mich und drückt seine dicke wuschelige Schnauze an mein Ohr. Dann brummt er gutmütig und das ist wie beruhigende Musik.
In mir ist so viel Trauer.
Darüber, dass ich meine Eltern nicht so ehre, wie sie es verdient haben, weil ich eifersüchtig auf Tom bin, weil ich so ganz andere Wünsche habe, als Mama und alle es glauben.
Ich möchte auch mal einen Joint rauchen, wie die meisten es in meinem Alter tun und um ehrlich zu sein: Lange wird’s auch nicht mehr dauern, bis ich’s tue!
Wenn ich daran denke, an Frankfurt und an das, was ich dort erlebte, wird mir wieder ganz schlecht, nicht weil die anderen so viel Haschisch geraucht haben, das fand ich ganz schön und es roch sehr angenehm, sondern weil ich Dinge im Kopf habe, die da nicht hingehören sollten. Glaub mir: Mama würde der Schlag treffen, wenn sie das wüsste!
Einen netten Jungen will ich und mit ihm rumknutschen und mehr, wie die meisten meiner ehemaligen Schulkameradinnen.
Und Bier trinken möchte ich. Und Martini.
Und eine Hose mit Schlag will ich mir kaufen. Obwohl ich jeden Tag mit Mode zu tun habe, scheut sich Gina, mir jene Kleidung zu gönnen, die mir gefällt, weil Mama -
- weil Mama schimpfen könnte, so wie damals, als sie mich mit Guiseppe gesehen hat und ich richtig ungezogen war, als ich frech war, rotzfrech.
Andere Mädchen in meinem Alter hingegen ...
Mal ehrlich. Wolltest du denn immerzu Röcke tragen, die bis ans Knie gehen und die du, wenn du alleine bist und dich niemand von der Familie sieht, am Bund aufrollst, bis sie so richtig Mini sind?
Warum immerzu nur halbe Sachen?
Ich glaube, das nennt man ‚janusköpfig sein’, was sich schon ziemlich schmuddelig anhört, wie überhaupt manche Worte ebenso klingen wie das, was sie aussagen.
Landei!
Das ist auch so ein Wort!
Ich hasse es, ein Bergborner Landei zu sein. Das ist so, als wenn du das Atmen verlernst. Hier, in Berlin, geht es mir besser, aber ich weiß, dass Mama gerne möchte, dass ich wieder nach Hause komme. Ich glaube, sie wollen sogar ein Haus kaufen, damit wir wieder alle zusammen sind. Was wird aus mir in Bergborn? Ich fühle mich ja jetzt schon ganz verkümmert, lieber Himmel!
Ich möchte noch so viele, so ganz andere Sachen machen, die nichts, gar nichts mit mir zu tun haben.
Denn ich bin nicht Ottilie!
Bin nicht das kuhäugige Klugchen aus diesem langweiligen Goethe-Roman, diese Ottilie, die so weise ist, wie man eigentlich gar nicht sein kann, wenn man so jung und so naiv ist, und die immer kluge Sachen denkt, die Papa mir jahrelang beim Bräunungswettbewerb vorgelesen hat, einen Kalenderspruch nach dem anderen, weil Papa möchte, dass ich genauso bin oder werde, obwohl Ottilies Gedanken eigentlich die eines alten Mannes sind, denn alt war dieser Goethe, als er die Wahlverwandschaften schrieb.
Wer hat denn schon mitgekriegt, wie mich immer alle wegen meines Namens aufgezogen haben? Wer hat die Gesichter meiner Mitschüler gesehen, wenn sie kicherten und meinten, ich sei eine richtige Ottilie, wobei sie das Otti betonten, dass es sich wie Otto anhörte, so, wie mein Onkel heißt. Ich habe nie jemandem etwas davon erzählt, weil ich doch weiß, wie stolz Papa auf mich ist und wie sehr er diesen Namen liebt. Außerdem gewöhnt man sich an alles!
Immer wieder denke ich daran, wie es in diesem Club in Frankfurt war. Nur zu gerne würde ich mich noch ausführlicher mit Andreas und Horst unterhalten und diesem süßen Thorwald, der außerdem ein Dichter ist, so
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