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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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gut. Wir haben morgen noch einen anstrengenden Tag.«
    Sie zieht Ottilie vom Sitz hoch, die ihr widerstandslos folgt.
    »He, ihr könnt bei uns schlafen!«, ruft Andreas.
    Gina dreht sich um, ihre Finger am Arm von Ottilie. Sie ist stinksauer. »Bei dir schlafen, mein Lieber? Wo ist bei dir? Wo? Soviel ich weiß, ist das die Wohnung von Angelika – die ihr besetzt habt, oder?«
    »Gina!« Angelika springt auf. Sie ist stoned und ziemlich betrunken. Sie schwankt. »Sei doch keine Spielverderberin, der Abend ist doch noch so jung. Da kommt man ja auf den Horror! Und hier ... ihr habt eure Jacken vergessen! Irgendwie ...«
    »Ja, ist doch irgendwie so richtig, oder?«, lächelt Thorwald und seine feuchten Augen saugen sich an Ottilie fest. »Muss man doch drüber reden.«
    »Drüber«, stellt Gudrun fest und schreibt das Wort mit der Fingerspitze in eine Martinipfütze, wobei sie nickt und sehr konzentriert ist. »Drüber ...« Sie kichert und blickt auf. »Das ist gut, ist wirklich gut!«
    »Tschüss, Geli. Und denk an das, was du vorhin gesagt hast«, sagt Gina.
    Fünfzigtausend Mark!
    Als die Tür hinter ihnen zufällt, legt Gina los. »Was sollte das? Bist du völlig übergeschnappt?« Es ist ruhig auf der Straße. Eine Straßenlaterne reflektiert auf dem Gelb eines amerikanischen Straßenkreuzers. Regina schlägt die Arme übereinander. »Weißt du eigentlich, was das für Leute sind? Hast du auch nur die geringste Ahnung davon, von welchem Planeten die kommen?« Sie kichert. Planeten ... das ist gut! Hui ... sehr gut!
    Ottilie lächelt verzückt. Sie blickt zum Himmel auf. Ihre Gesichtszüge sind weich. »Planeten.«
    »Davon gibt’s ganz schön viele«, denkt Gina laut.
    »Und alle bleiben oben am Himmel«, stellt Ottilie fest. »Ist doch super so, oder nicht?«
    Hoffentlich wird Lotte nie etwas von diesem Abend erfahren!, sorgt sich Gina und konzentriert sich auf die letzten Worte, die gesagt worden sind, die sie gesagt hat, das war sie doch, oder? Irgendwann hatte sie doch einen richtig vernünftigen Satz gesagt, fragt sich nur wann? Ist weg – irgendwie! Irgendwie! Irgendwie! Wer ist nur auf das blöde irgendwie gekommen? Aber der Gedanke muss ja noch da oder dort stecken, abgelegt sein. »Und was sollte das, du wüsstest, worüber die reden?« fällt es ihr spontan wieder ein.
    »Lass uns gehen«, flüstert Ottilie. »Sonst laufe ich zurück und helfe denen bei dem, was sie vorhaben. Dann verlasse ich dich und Onkel Otto und meine Familie.«
    Ginas Zunge ist wie ein dickes pelziges Tier, ihr fehlen die Worte. Sie hat Durst. Und Hunger. Auf was Süßes.
    Eine Minute schreiten sie schweigend nebeneinander her, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, mit Blick auf die Füße, der linke, der rechte und die Fußspitzen leuchten und tapsen lustig auf das Pflaster. Vielleicht sind es auch zwei oder drei Minuten. Zeit ist nebensächlich. Sie sind. Sie denken. Gina reißt sich aus der Verinnerlichung. »Rück raus damit. Was ist los?«
    »Ich weiß, worüber die reden. Ich verstehe sie. Am liebsten würde ich mithelfen.« Ottilies Augen schwimmen in Tränen. Sie sieht aus wie ein kleines Mädchen, das sich verlaufen hat und wäre nicht die unbeantwortete Frage, würde Gina sie in den Arm nehmen, drücken, trösten.
    »Guck sie dir alle an, Tante Regina. Die so genannten feinen Bürger.«
    »Ich gehöre doch genauso dazu. Die da drinnen würden mich eine bourgeoise Schlampe schimpfen, wenn die wüssten, wie erfolgreich ich als Geschäftsfrau bin.«
    »Aber Gina ... ich meine diese ... diese Spießbürger, die den Hirsch an der Wand haben und uns Jugendlichen weismachen wollen, sie wüssten, was Moral bedeutet. Sie schreien auf, wenn Jungen zu lange Haare haben, und empören sich über laute Musik. Sie wissen alles besser.«
    »Das hat sich in Jahrtausenden nie geändert. Sie wussten schon immer alles besser«, murmelt Gina. Endlich klärt sich ihr Kopf. Sie fummelt ein Taschentuch aus ihrer Chanel-Handtasche. Als sie Ottilie von der Seite betrachtet, fällt ihr auf, wie sehr sich das Mädchen verändert hat. Einerseits scheint sie unreif wie ein früher Pfirsich, andererseits wirkt sie bitter wie eine gewucherte Brennnessel. Sie ist verpuppt, eingesponnen in ihren Kokon. Was wird sie sein, wenn sie sich entfaltet? Wer weiß wirklich, was im Kopf dieser jungen Frau vor sich geht? Betrachten wir sie nicht alle nur von außen, sozusagen wie ein hübsches Bild, dessen Innenwirkung wir uns, je nach Laune und nach

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