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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Schweißtuch in der Hand, wie ein düsterer Gott über ihm hockte, starrte zum Hangenden auf, von dem es bröckelte, als weine der Berg um die Seele der beiden Männer, dann wieder zu Cemir. Auf der Seite liegend tastete er nach seinem Steigerstock, der einen Meter entfernt lag.
    Unvermittelt setzten sich die zwei Hilfsstempel, bestenfalls anderthalb Meter hoch und nicht quer verstrebt, links und rechts in Bewegung, knirschend wie sandige Zähne, begannen sich wie - lieber Gott! aman Allahim! - wie Schrauben, ja Schrauben! in die Erde zu bohren. Erst ganz langsam, wie ein lähmender Alptraum, rundherum, knarzend, das Hangende nur noch unzureichend stützend, wie Pflöcke, ins Herz des Berges geschlagen, kreiselnd umherum, in einer Weise, die es nicht geben durfte, nicht geben konnte.
    Weit entfernt brüllte Schießmeister Makollek Unverständliches, als das Hangende stellenweise nachgab und sich nach unten zu biegen begann wie eine durch Sturzregen belastete Plane, wie ein Zeltdach, auf das während eines Orkans die gebrochenen Äste eines Baumes schlagen. Ein Gestein, so groß wie eine Tischplatte löste sich über Schotterbein, filigrane Furchen risselten die Fläche ab, als hätte ein Architekt mit dämonischer Magie sie mit dem Winkel abgemessen, gut zwei mal zwei Meter.
    Der Steiger, auf dem Rücken, das verdrehte Bein an der Kniescheibe haltend, starrte zu seinem sicheren Tod empor, ungläubig - Himmel noch mal, das gibt’s doch nicht, das ist ein gottverdammter Albtraum! - glotzte angsterfüllt zu Cemir hin, als mache er den Türken für das Unglück verantwortlich, sein Kopf ruckte hin und her, suchend, verzweifelt – wie entwische ich dem sicheren Tod? Es muss doch einen Weg geben, muss es doch! – denn die Steinplatte, die sich wie von einem unsichtbaren Käsemesser vom Hangenden hobelte, würde jeden Moment auf ihn niederkrachen, und die einzige Fluchtmöglichkeit war nach vorne und da hockte Cemir, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, um dessen Lippen ein verzerrtes Lächeln spielte, und der Türke versperrte den Weg, und es gab keinen Hebel, an dem Schotterbein sich abstützen, wegziehen konnte und seine Ellenbogen wischten in der Kohle, als er sich wegrollen wollte, zur Wand hin, weil er sich schmal machen wollte wie ein Bierdeckel, um dem Felsen über sich, dem Tod zu entfliehen suchte, und er schrie seine Angst aus sich heraus und seine Blase entleerte sich.
    Cemir packte den Steiger am verdrehten Bein und zog den vor Schmerz brüllenden Mann in der Hocke und mit aller Kraft aus der Gefahrenzone, fiel hintenüber, seine Beine angezogen, Schotterbeins Oberkörper halb auf sich, sodass er dessen Entsetzen roch.
    Im selben Moment geschah es.
    Die Wucht der Steinplatte, der Staub, den sie aufwirbelte, der folgende Lärm war unbeschreiblich. Weitere Bruchstücke lockerten sich im Hangenden, die Stempel splitterten, gaben vollends nach wie Streichhölzer, dann war nur noch Schmutz, so dicht und dick, dass keine Grubenlampe ihn durchdringen konnte.
    Und Schweigen.
    Es dauerte eine Weile, bis Cemir begriff, was geschehen war. Hinter ihnen hatte sich das Hangende gelöst, hatte den Rückweg zum Schießmeister Makollek und den anderen Kumpels versperrt. Sie waren verschüttet. Sie lagen aneinandergekauert in einem Hohlraum, kleiner als die Ladefläche eines Lieferwagens, nur dass niemand die Tür öffnete, und Licht und Luft herein ließ.
    Und es dauerte eine Weile, bis Cemir das unvorstellbare seiner instinktiven Tat begriff, vielleicht nur, weil Schotterbein es in den Staub hustete: »Kümmeltürke – du Arschloch hast mir das Leben gerettet!«
    Worauf Schotterbein die Worte ausgingen und er zu schreien anfing und dieser Schrei war grausiger, als alles, was Cemir in seinem Leben gehört hatte, entsetzlicher als der Ruf eines geschlagenen Tieres. Unverzüglich verdrehte der Steiger die Augen und wurde ohnmächtig.
    Cemir rappelte sich auf, der Staub setzte sich und er erkannte, was geschehen war: Zwar war es ihm gelungen, Schotterbeins Körper so weit zu sich zu ziehen, dass er nicht vollends zerschmettert wurde, die Unterschenkel indes waren unter Stein begraben. Cemir kniete sich davor und stöhnte bei der Anstrengung, die schieferigen, kantigen, schneidenden Gewichte von den Schenkeln des Ohnmächtigen zu wuchten. Darunter schwammen Fleisch und Knochen in Blut.
    Ich wollte dich töten, nun tötet dich der Berg!
    Er lauschte.
    Die Decke des Gangs war komplett eingestürzt, zwischen Stein und

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