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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Gutdünken erschaffen?, fragt sich Gina schuldbewusst. Was geht in einem Menschen vor, der sich mit Schneide und Tränen verstümmelt? Was sind seine Beweggründe?
    Ottilie schnäuzt sich. »In Wahrheit, Tante Regina, in Wahrheit sind sie alle Lügner.«
    »Nur, weil dieser Andreas das gesagt hat?«
    »Nein, weil ich es weiß.« Trotzig wirft sie das zerknüllte Papiertuch auf die Straße. »Weil ich Beweise habe, schon lange habe ich die, schon seit vielen Jahren.«
    »Beweise wofür?«
    Ottilie macht ein trauriges Gesicht und öffnet ihre Handtasche.
     
     
     

5
     
    Mike überfliegt die Nachricht, die soeben von der Nachrichtenagentur Reuters über den Fernschreiber in das Berliner Hauptbüro der Rundschau-Redaktion getickert ist.
    Heute Morgen, gegen neun Uhr dreißig, wurde drei Männer und eine Frau in Frankfurt verhaftet, nachdem sie eine Vorstadtvilla verlassen hatten und in ein Auto, Marke VW Käfer, steigen wollten. Die Personen stehen unter dringendem Verdacht, für die Brandanschläge im Kaufhof und Kaufhaus Schneider verantwortlich zu sein. Bei den Verdächtigen handelt es sich um ...
    Die Namen sagen Mike allesamt nichts: Ensslin, Söhnlein, Baader, Proll. Die Verhaftung erfolgte aufgrund des Hinweises einer Anruferin, die nun die ausgerufene Belohnung kassieren wird.
    Da gab es vor einiger Zeit ein Flugblatt der Kommune 1, erinnert er sich, das mit den Worten endet: Burn, warehouse, burn! Eine überspannte Ansage der Agitatoren um Rainer Langhans, Fritz Teufel und Rudi Dutschke, die vielerorts heftig diskutiert wurde. Handelte es sich dabei um Provokation oder Ermunterung? Nun hatte sich alles geändert, hatte sich die Satire verselbstständigt. Auf närrische Sätze mediengeiler Politclowns folgen rücksichtslose Taten übergeschnappter Radikaler, junger Leute, die Probleme mit Autorität haben, die ihre eigenen Kodexe entwickeln, die sich von Koryphäe und Gesetz nicht vereinnahmen lassen. Wohin wird das noch führen?
    Mike nippt an seinem Kaffee. Sein journalistischer Instinkt sagt ihm, dass etwas Großes dabei ist, aus einem knallroten Ei zu schlüpfen, ein Drache, dem es nicht genügen wird, mit seinem glühenden Atem nur Bettenabteilungen anzuzünden. Zu viele Intellektuelle an deutschen Universitäten äußern sich politisch links - zu viele Vorlesungen werden großmäulig gesprengt - zu viele Eltern fangen an, ihre Kinder antiautoritär zu erziehen - zu viele junge Menschen hängen sich das Bild des 1967 von einem bolivianischen Ranger ermordeten Che Guevara übers Bett, obwohl sie keine Ahnung haben, wer dieser Widerstandskämpfer wirklich gewesen war, - zu viele Politiker verschließen die Augen vor dem, was die Nation aufrüttelt, zu vieles geschieht, um nicht – wenn man über politischen Weitblick verfügt - ein winziges bisschen, wirklich ein winziges bisschen nervös zu werden. Da hilft auch kein Kaffee.
    Mike stellt die Tasse auf den Vervielfältiger.
    Nachmittags wird er als Berichterstatter in der Sache Cemir Cülcze vor Ort sein müssen, außerdem laufen die Ticker wegen der Anschläge heiß, jeder Schreiberling wittert die große Schlagzeile – zu Recht!
    Denn nun brennen Kaufhäuser, man riskiert das Leben von lauteren Menschen. Die Studentenrevolte hat ihre Unschuld verloren.
    Randale, Demos, Schlägereien, hilflos dreinprügelnde Polizisten, langhaarige Märtyrer, die nicht ein Wort von dem intellektualisieren, was ihre Leithammel oder deren Professoren zu vermelden haben, Hauptsache die Finger zum Victory gespreizt und einen Joint in der Jeansjacke, weil’s super ist, Ulrike Meinhof, deren fanatische Kolumnen in der konkret sie ins Rampenlicht und gleichermaßen ins Abseits katapultieren, das beharrlich pubertäre Gebrülle gegen Springer und Co., gegen die Amis und die Große Koalition und um Gerechtigkeit für Benno Ohnesorg, Wasserwerfer, Rauchbomben, Lederjacken, Steine, die in Fensterscheiben splittern, Ton Steine Scherben und Floh de Cologne auf dem Plattenteller, Gruppensex in Kommunen ...
    Hergehört! Morgen wird es im Blätterwald rascheln, allen voran die Springer-Presse, mal sehen, was die Brandstifter gestehen. Das sind gute Zeiten für Zeitungsmacher. Und die Bild wird einiges zu schreiben haben, dieses Scheißblatt, auf das eine ganze dämliche Nation hört.
    Mal sehen, denkt Mike, was diese Cemir-Sache zu bieten hat. Er macht sich auf den Weg.
     
     
     

7
     
    Ich bin nicht Ottilie!
    Und manchmal hab ich schlechte Laune.
    Dies ist meine Seele, umwölkt

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