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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Kohle ragten faserige Reste der Stützstempel heraus. Cemir schätzte, dass sich zwischen seinen Kumpels und diesem winzigen Hohlraum bis zu zehn Meter verdichtetes Gestein befanden und sofort begann er zu rechnen, wie lange die Luft hier ausreichen würde. Jeder Bergmann beherrscht diese Berechnung, denn sie gibt dem Leben eine vorhersehbare Frist. Er kam zu dem Ergebnis, dass sie, sollte Schotterbein nicht vorher sterben, bestenfalls für siebzig Stunden Atemluft zur Verfügung hatten. Dann würden sie einschlafen und es wäre vorüber. Sie hatten also drei Tage, um aus diesem Mauseloch gerettet zu werden.
    Cemir betrachtete den Bewusstlosen und wickelte den Dolch aus dem Schweißtuch.
    Das ist dein Ende!
    Oh ja, es wäre ein Leichtes, Schotterbein zu töten.
    Töten!
    Niemand käme auf den Gedanken, dass er, Cemir, etwas damit zu tun habe. Schotterbein wäre ein Bergbauopfer, verblutet an seinen Verletzungen. Und Cemir wäre seinen Peiniger ein für alle Mal los. Nichts anderes hatte er beabsichtigt. Außerdem gäbe es dann Luft für die doppelte Zeit.
    Als wolle er diesen Gedanken kultivieren, strich er mit der Spitze des vielmals gefalteten Stahls über die Brust des Steigers, da, wo das Schweißhemd zerrissen war. Nur ein leichter Druck über dem Herzen, oder besser ...
    ... der Dolch wanderte in Richtung Halsschlagader ...
    Verblutende Hammel blöken ihr Leben aus, Hunderte!
    ... ja, besser hier einen Stich setzen, das Opfer gnädig ausbluten lassen, anschließend die Einstichstelle mit Stein und Kohle zerreißen, damit es wie ein Unfall aussah. Niemand würde auf den Gedanken kommen, Schotterbein sei geschlachtet worden.
    Nur ein ganz leichter Druck ...
    ... nur etwas Mut!
    Am Ziel meiner Wünsche!
    Ohne Richter, Befragungen, Erniedrigung und Gefängnis.
    Salzig rann es ihm über die Wangen, tropfte in den Staub, und seine Schultern bebten, so sehr wurde er von einem Schluchzen geschüttelt.
    Er zog sich das Hemd vom Oberkörper und riss es in Streifen, immer wieder unterbrochen von krampfartigen Tränenausbrüchen. Mit wenigen Bewegungen hatte er Schotterbeins Beine abgebunden und die Blutungen gestoppt. Vielleicht in letzter Minute.
    Und Schweigen.
    Hier kauerte er also in einer Luftblase, währenddessen der Berg um ihn herum knisterte, bebte, den Atem anhielt, erneut ruckte, als überlege er sich, diesen winzigen Hohlraum auch noch mit seiner felsigen Substanz zu füllen. Es dauerte noch ein paar weitere Minuten, bis der zerrissene Flöz sich beruhigte und Stille eintrat, wie Cemir sie noch nie wahrgenommen hatte. Totale, hörbare Schwärze. Nur der schwere Atem der beiden Männer stand zwischen den Steinen.
    Cemir drehte das Licht an Schotterbeins Helm aus. Die Batterie musste geschont werden. Er untersuchte das Werkzeug, das er mitgenommen hatte und pickte, klopfte, hämmerte den Stein unter sich, neben Schotterbein, überall wo er hingelangte, fein, bis ein Bett aus Kohlenstaub entstanden war. Er lagerte den beschädigten Körper des Steigers so bequem wie möglich in diese weiche Unterlage. Die Beine waren an den Unterschenkeln abgeknickt, und als Cemir den Versuch unternahm, die Knochen zu richten, bäumte sich der Mann auf, brüllte und sank erneut in die Albträume seiner Schmerzen zurück.
    So gelang es Cemir, indem er sein Schweißhemd und das von Schotterbein wie eine Binde benutzte, die Beine des Verletzten einigermaßen zu richten. Mehr konnte er nicht tun. Das Leinen war blutgetränkt, aber mit etwas Glück, und falls man sie rechtzeitig rettete, würde der Steiger überleben. Versuchsweise löschte er auch sein Licht.
    Allumfassende Dunkelheit.
    Und Schweigen.
    Hinter seinen Augen blitzte es, explodierten Lichter, so sehr starrte er in die atemlose Schwärze, versank in sich, und die Zeit verlor ihr Angesicht.
    Cemir erwachte durch den Körper, der sich an ihn klammerte, durch das Weinen des Mannes neben sich. Seine Lider brannten, seine Kehle fühlte sich verholzt an und er tastete nach seinem Grubenlicht. Und es wurde Licht. Es roch etwas nach Pisse, da Schotterbein seine Blase entleerte und auch Cemir hatte keine andere Möglichkeit, als sich an Ort und Stelle zu erleichtern. Er suchte und fand die Teeflasche, die wie immer an seinem Gürtel klemmte. Er lauschte auf Geräusche aus der Außenwelt, suchte Signale, wartete auf die Retter.
    Nichts.
    Schotterbein grunzte, stützte sich auf die Ellenbogen und blinzelte in das diffuse Licht. Sein Schatten ragte über ihnen auf.

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