Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
Vom Netzwerk:
helfen alle die klugen Bücher nichts, die er liest.
    Auf eine diffus unangenehme Art und Weise ahnt er, dass die Geschehnisse der letzten beiden Tage – und war da nicht noch so eine ungute Sache auf Papas Zeche? – dass die Geschehnisse der letzten beiden Tage die Zukunft der Familie Wille mehr ändern werden, als ihnen allen lieb sein kann.
    Darüber schläft er ein, und in seinem unruhigen Traum hört er sie noch alle diskutieren, die Willes und die Jäckels, hört sie lachen, Gläser machen pling, Zarah Leander singt, dass einmal ein Wunder geschehen wird, und Oskar gibt einen Witz zum Besten.
     
     
     

7
     
    Es ist kurz nach vier Uhr.
    Kaum eine Wohnung in Bergborn, wo nicht irgendwo ein Wecker klingelt, den man eigentlich nicht benötigt, weil jeder, der sich aus dem Bett quält, hustend, mit verklebten Augen, fröstelnd vor Erschöpfung oder weil schon Herbsttemperaturen herrschen und der Kohleofen noch nicht angeworfen ist, weil also jeder von denen einen inneren Wecker hat, der pünktlich zum Aufstehen ruft. Die Füße der Männer fahren in die Puschen oder tappen barfuß zur Toilette, wo man sich erleichtert. Man ist noch immer im Dämmerzustand, den Schlaf, den Traum, Ängste und Hoffnungen schwer auf den Schultern oder in den Knochen.
    Viele haben Frauen oder Mütter, die es den Männern gleichtun, etwas leichtfüßiger allenfalls. Sie schweben wie Spukgestalten mit Nachthemd, hastig übergeworfenem Morgenmantel und wuscheligem Haar oder Lockenwicklern durch die Wohnung in Richtung Küche. Einige haben zwischen den Fingern die erste Zigarette. Die Stullen geschmiert, in Butterbrotpapier gewickelt, ein Gummiband drum, fertig! In die Butterbrotdose gepackt, noch einen Apfel dazu und ein Kochei, das muss ausreichen für die Schicht. Dazu eine Thermoskanne mit Malz- oder Bohnenkaffee, gestern Abend aufgesetzt, nun aus dem Kühlschrank geholt, erfrischend und belebend. Alles rein in die bejahrte, kohlenstaubpatinierte Ledertasche, die Mann oder Sohn so gerne schleppt, weil sie von seiner Körperwärme beulig und weich, gewissermaßen ein Teil von ihm geworden ist. Zum Frühstück werden noch schnell eine oder zwei Schnitten geschmiert, mit Salami draufgepappt. Dann ein trüber Blick auf den Kerl, der nun aus dem Badezimmer geschlurft kommt, schon angezogen zur Arbeit, mit der abgewetzten Cordjacke und der grauen Stoffhose an, seine Haare feucht zurückgeklatscht. Er duscht oder badet nie daheim, warum auch? Da hat er‘s auf‘m Pütt viel schmucker, mit fließend heißem Wasser und allem Drum und Dran!
    Die Frau ist zufrieden, wenn er aus dem Haus ist, dass sie sich wieder hinlegen kann, dass er nicht Spät-, oder – ganz übel! – Nachtschicht hat, bei der er sowieso nur ihren Tagesablauf stört. Sie ist zufrieden, dass sie ihr Reich nun beherrscht, bis er am Nachmittag gegen vier Uhr von Schicht zurück ist, ausgelaugt, aufgekratzt, mit Durst auf Bier und Hunger auf eine deftige Mahlzeit.
    Für denjenigen, der die Chance der letzten beiden Tage zur Erholung oder Entspannung genutzt hat, ist der Montagmorgen noch ganz erträglich. So weit so gut.
    Bei den meisten in Bergborn war das Wochenende anstrengend, weil man es krachen ließ, denn Gründe dafür gibt’s genug: Weil die Taube, auf die man gesetzt hat, zu spät von ihrem Flug in den Schlag zurückkehrt und hundert Mark futsch sind. Da sitzt man dann den ganzen Sonntag wie ein Idiot auf der Bierkiste, glotzt in den Himmel, klappert mit trocknen Erbsen in einer Blechdose, was diese Vögel anlocken soll und nix passiert, weil diese Mistviecher sich verfliegen. Vadder Ronsmanns Kröpper sind schon lange zurück und tanzen seinem blöden Schäferhund auf der Nase rum und die vom Kawalke pennen schon auf der Stange! Oder weil Schalke 2:6 gegen Borussia Berlin verloren hat, obwohl der Stan Libuda Rechtsaußen spielt, oder weil eine Familienfeier ist, und das ist immer ein Grund! Weil man die Monotonie leid ist - malochen, pennen, malochen, pennen! - oder weil die eigene Alte blöde rummacht, noch so ein Grund. In die Kirche geht keiner, da kann Pastor Bockelmann sich die schwarze Kutte fransig reden. Dann schon eher zum Frühschoppen in die Ampel . Da kommt der Pastek [3] später auch hin und nicht selten ist man schon angesoffen, bevor man Mutters Schweinebraten mit Sauerkraut gegessen hat.
    Auch für Frank Wille ist es vier Uhr morgens, aber er steht nicht auf, da er sich gar nicht erst hingelegt hat. Er sitzt in der Küche am Tisch und raucht und

Weitere Kostenlose Bücher