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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Papa reden. Andererseits gesteht er sich ein, benimmt der sich wie – wie – ein kleiner Junge. Alle benehmen sich so. Wie Kinder. Kichernde Kinder. Und das gefällt Tom.
    Behände klettert Papa den Fahnenmast rauf, ein bis zweimal rutscht er etwas zurück, was ihn nicht daran hindert, die Ösen der großen Flagge mit dem dreifarbigen Aufdruck drauf aus der Schlaufe zu drehen. Onkel Piefke hat sich an dem anderen Mast hochgemacht, der verdächtig wackelt. Das würde noch fehlen, wenn der umstürzt und Onkel Piefke sich die Knochen bricht. Alle sind ganz still, Oma Käthe knurrt wie eine Löwin, Mama hält den Atem an, ein Auto fährt vorbei, wird kurz langsamer und beschleunigt wieder. Hoffentlich holt der nicht die Polizei, denkt Tom.
    Die erste Flagge, so groß wie ein Bettlaken, fällt zu Boden, Papa jubelt leise und rutscht den Mast runter. Onkel Piefke dreht und würgt an seiner Flagge rum, der Mast wackelt noch immer und dann hat auch er es geschafft. Die mit dem Bergborn-Wappen drauf, einer Salinenmühle, grün und rot, mit dem Schriftzug drunter, weht auf den Rasen. Währenddessen hat Onkel Otto die Beute von Papa zusammengerollt, was sich nicht so einfach gestaltet, wie er gedacht hat. Das Material ist sperrig und dünn. Er faltet, rutscht auf dem Rasen aus, seine Brille purzelt von der Nase, er tastet, sucht und Tante Gina hilft mit gewisperten Anweisungen – etwas weiter links, jetzt rechts, ja, ja, oh Mann, bist du blind! – und dann hat er seine Gläser gefunden, und als Onkel Piefke wieder unten ist und neben seinem älteren Bruder in die Hocke geht, alle drei Männer dabei sind, die Flaggen auf Schallplattengröße zu falten, geht hinter ihnen ein Licht an, grell, weiß, blendend.
    »Was ist hier los?«
    »He, mach die Taschenlampe aus«, zischt Gina. Ihre Stimme ist bitterhart und sie tritt auf die Person zu, die sie blendet.
    »Was ist hier los, verdammt noch mal?«
    Es ist die Stimme von Herrn Knopp, dem mit der Knoppnase. Gott sei Dank nicht die Polizei – noch nicht!
    »Hören Sie, ich weiß ja nicht, wer sie sind, aber es ist ziemlich unhöflich, fremden Menschen eine Taschenlampe in die Augen zu halten.« So hat Tom seine Tante Regina noch nie gehört. Jetzt hört sie sich ein bisschen an wie Oma Käthe, wenn diese keine Widerrede duldet. Der Lichtkegel senkt sich. Herr Knopp steht da und starrt die Frau an. »Äh, und sie sind auch hier, Frau Wille?«
    »Haben Sie was dagegen?«, schnappt Mama. »Ist das etwa verboten?«
    »Es ist alles in Ordnung, guter Mann«, sagt Tante Gina.
    »In Ordnung? Und was ist da hinter dem Tor los?« Blitzschnell zerschneidet das Licht seiner unterarmgroßen Lampe die Dunkelheit, tastet hinter das Tor, zu den Wachholderbüschen, über den Rasen und findet nichts. Nur das Gras ist etwas zertreten, aber das sieht Herr Knopp anscheinend nicht, denn er unterbricht seine Suche.
    »Wir waren bei einem Spaziergang und dachten, etwa gehört zu haben. Also haben wir nachgeschaut. Aber es war nichts. Igel vielleicht, die sich’s besorgt haben«, haucht Gina.
    Tom würde wetten, dass Herr Knopp errötet, er jedenfalls kriegt heiße Ohren.
    »Lass man stecken, Knopp!« Oskar schiebt sich nach vorne.
    »Du auch hier?« Herr Knopp ist unsicher.
    »Na klar, altes Haus. Is doch Geburtstachfeier bei Lotte Wille. Da muss man auch mal kotzen gehn von dem ganzen Gebräu und sich ein bisschen die Beine vertreten.« Er fasst Herrn Knopp um die Schultern, zieht ihn weg vom Geschehen, rum um die Hecke, über den Hof, aus dem Blickfeld der Galgenvögel, die jetzt am Tor auftauchen.
    Sie machen Räuberleiter, Onkel Otto stützt sich in Papas Hände, taumelt, fällt auf den Hosenboden, versucht es erneut, reißt sich das andere Hosenbein auch noch kaputt, dann hat er es geschafft, Papa zieht sich hoch und schwingt die Beine rüber und Onkel Piefke folgt als Letzter über das Tor. Es sieht aus, als wären Papa und Onkel Otto schwanger, die Flaggen sind also gut verstaut.
    »Das geht niemals gut. Das gibt Ärger.« Mama sieht ziemlich unglücklich aus.
    Onkel Otto pflückt sich ein paar Blätter aus den Haaren. »Mut kann nur der haben, der auch die Furcht kennt, und davon hatten wir doch wirklich genug, oder Schwesterlein?«
    »Wo ist Oskar?«, fragt Papa.
    »Kümmert sich um den alten Knopp«, sagt Tom.
    Papa verharrt, blinzelt, als nehme er erst jetzt wahr, dass sein Sohn anwesend ist, grinst schräg, beugt sich runter zu ihm und sein Alkoholatem umweht Tom wie eine dritte Flagge.

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