Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
einem überdurchschnittlichen Gehalt honoriert.
Immer öfter gibt es Ärger mit Gastarbeitern, die man nach Bergborn holt. Diese Kerle sind im Umgang miteinander nicht zimperlich. Seitdem vor ein paar Wochen am Stadtrand der Oldtimer geöffnet hat, ein Musikschuppen, der vorwiegend von Portugiesen frequentiert wird, ist es mit der Ruhe unter den Ausländern geschehen. Streits, zum Beispiel um deutsche Mädchen, sind an der Tagesordnung und führen nicht selten zu Messerstechereien oder Rangeleien. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Polizei eingreifen muss. Heute ist woanders was los, egal! Hauptsache, es fallen eine Meldung und ein gutes Foto ab.
Also greift er seine Spiegelreflex, springt in den Kadett und braust los. Zwei Straßen weiter nimmt ihm ein Polizeiwagen die Vorfahrt, was er ganz prima findet, denn nun muss er nur noch der Blaulichtspur folgen. Im Geiste notiert er schon ein paar schlagkräftige Überschriften und ärgert sich, dass seit einer Stunde Redaktionsschluss ist. Daher wird die Montagsausgabe noch nichts bringen, aber für ein gutes Foto, am besten exklusiv, ist es auch am Dienstag nicht zu spät.
Er verlangsamt seine Fahrt, um einen vernünftigen Abstand zwischen sich und der Polizei zu halten. Die Jungs können sich zwar denken, dass er den Polizeifunk abhört, dennoch muss er vorsichtig sein, sonst stehen die grünen Männchen irgendwann vor seiner CB-Anlage und kassieren das Ding ein, was sein komfortables Leben um einiges erschweren würde. Eine, zwei Minuten Verspätung gönnt er sich, denn er weiß ja sowieso, wohin er will.
So schleicht er sich an der Kleingartenanlage vorbei, hinter der sich eine Bruchbude ins Dunkel reckt, die man endlich abreißen sollte. Er tastet in seiner Jackentasche nach Zigaretten, kurbelt das Seitenfenster runter, lehnt den Arm aus den Fensterrahmen, zündet die Zigarette an und traut seinen Augen nicht. Er blinzelt über die Flamme und glaubt an eine Halluzination. Instinktiv drischt sein Fuß auf die Bremse. Was er da sieht, kann doch nicht sein! Er klemmt die Zigarette zwischen die Zähne, in null komma nix liegt die Kamera in seiner Hand.
Oben, an einem der beiden Fahnenmasten hinter dem Eisentor der Kleingartenanlage klammert sich jemand fest. Ein Schemen, den er mit dem Teleobjektiv heranzoomt. Ein erwachsener Mann, so an die vierzig Jahre. Er stellt den Sucher scharf und starrt in die weit aufgerissenen Augen des Klettermaxen. Wer, um alles in der Welt, kraxelt da kurz vor Mitternacht auf einem abgesperrten Gelände einen Fahnenmast hoch und warum?
Für eine lange Sekunde schlägt ein Blitz ein.
Er wettet, der Mann ist geblendet; im ersten Reflex will er seine Augen schützen, lässt den Mast los, seine Beine werden butterweich, er klammert sich an die Flagge, krallt sich in den Stoff, abermals schnellt es Weiß auf. Seine andere Hand hält sich am Holz fest, ein Splitter dringt in seinen Handballen, er nimmt den stechenden Schmerz kaum wahr. Nur nicht abstürzen. Nicht runterfallen. Er drückt sich nach vorne und rutscht, eng an den Mast gedrückt, runter, landet auf dem Hintern und wirft sich zur Seite, landet in einem Gesträuch, das gestern noch nicht da war - oder doch? - Äste oder scharfkantige Blätter zerkratzen Frank das Gesicht.
Scheiße!
Irgendwer hat ihn fotografiert. Der Typ da in seinem Klapper-Opel hat einen Fotoapparat dabei.
Eine Wagentür schlägt. Schritte nähern sich. Frank drückt sich tiefer in den modrig aromatischen Boden. In seinem Nacken juckt es. Eine Spinne? Ein Käfer?
»Hallo, hallo – ist da wer?«, ruft ein Mann.
Frank atmet flach, versucht etwas zu sehen, aber es ist dunkel hinter den Ästen. Für einen Moment sind glühende Erinnerungen da an Kia-Hoi in Kambodscha, damals, 1947, und er meint Colonel Legranges Wispern neben sich zu hören, Schüsse ganz in der Nähe und das Schreien der Kinder, dieser Jungen und Mädchen, oh mein Gott! Über seine Hand läuft dieser verschissene Tausendfüßer, fünfzehn Zentimeter lang, schwarz und glitschig, während dessen er kaum zu atmen wagt, obwohl er vor Ekel kotzen will, aber er darf nicht, darf nicht, darf nicht, weil die ganze Gruppe sonst auffliegt und von den Viet-Minhs plattgemacht wird.
»Hallo, wer sind Sie? Sagen Sie mir Ihren Namen.«
Mikes Stimme bringt Frank in die Realität zurück. Sein Rücken ist kalt vor Schweiß und er verflucht sich für diesen ausgemachten Unfug, den er gestern und heute angestellt hat.
Eine Weile ist alles still.
»He,
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