Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
schweigt.
»Na gut, macht ja nichts.« Schotterbein schlägt die Kladde zu und schiebt sie in die Schublade zurück. Er lehnt sich auf die Ellenbogen und schiebt den Oberkörper über die Tischplatte nach vorne. Er lächelt verschwörerisch. »Papier ist geduldig, nicht wahr?«
»Kommen Sie zur Sache.«
»Na na – Frank Wille. Seit wann so förmlich?! Als zukünftige Kollegen sollten wir uns gar nicht erst ans Sie gewöhnen, meinst du nicht auch?«
»Ich verstehe nicht ...«
»Klar tust du das nicht. Machen wir uns doch nichts vor ... wer heutzutage auf Zeche malocht, hat nichts in der Birne. Wir kriegen nur noch den Abschaum, diejenigen, die keiner sonst nimmt oder diese vermaledeiten Ausländer, die unser Volk aussaugen und nur wegen der guten Deutschen Mark hier sind. Das Niveau sinkt immer mehr. Die klügeren Köpfe, die noch Anfang der 50er hier waren, machen inzwischen alle was anderes. Daraus resultiert, dass jeder fähige Mann auf Zeche Gold wert ist.«
Frank sitzt aufrecht wie eine Statue. Er hat einen Albtraum. Nur so kann es sein. Die letzte Nacht hat ihn umgehauen und in Wirklichkeit liegt er unten in einem Kohlebett und träumt diese Begegnung.
»Also zum Mitschreiben«, sagt Schotterbein und spießt Frank mit seinen kleinen Augen auf. »In drei Wochen machst du deinen Hauerbrief. Deine Lehrzeit hast du viermal absolviert, den ganzen Amtskram können wir uns sparen. Es ist alles schon geregelt. Die Betriebsleitung hat zugestimmt. Wir brauchen fähige Männer. Weitere vier Wochen später schicke ich dich auf einen Steigerlehrgang. Dann kommt der Jahreswechsel und im nächsten Sommer wirst du Steiger sein. Damit du dich bis dahin nicht langweilst, mache ich dich hier und jetzt zum Vorarbeiter ... vielleicht doch einen Schnaps?«
Frank nickt.
Schotterbein zaubert ein Glas auf den Tisch und füllt es. Seins auch.
»Lass uns anstoßen, Vorarbeiter Wille.«
»Cemir hätte heute draufgehen können! Warum lassen Sie das zu?«
»Pah, das geht dir nicht aus dem Kopf, was? Ich dachte nicht, dass du so ein Weichei bist. Immerhin warst du bei den Legionären, einer harten Truppe, sagt man. Hör zu, diese Südländer können das ab. Die sind zäher als wir, glaube mir.«
»Sind Sie wirklich so ein Arschloch, Steiger?«
Schotterbein lächelt schief und für einen Moment sind seine Augen dunkler als sonst und ein Hauch von Traurigkeit legt sich über das spitze Gesicht. Ganz vorsichtig stellt er das Glas vor sich ab. »Du schwingst mutige Töne, Wille. Aber wir sind ja ganz alleine hier. Hört ja niemand mit. Keine Zeugen. Ich sag’s dir. Ihr alle hier denkt, ich sei ein ehemaliger SS-Mann. Niemand geht davon aus, dass es auch anders sein könnte. Ich passe so gut ins Bild, nicht wahr? Der schmale Schinder. Niemand von euch kommt auf den Gedanken, dass ich für einen SS-Mann fast einen Kopf zu klein bin. Ja, jeder Mensch hat seine Geschichte und ich habe meine und die hat verdammt noch mal nichts mit irgendwelchen Püttmannphantasien zu tun. Wenn du meine Frau, meinen Sohn, meine Tochter fragst, werden sie dir bestätigen, dass ich der fürsorglichste Vater und Ehemann der Welt bin.«
»Auch Hitler liebte seinen Schäferhund.«
»Ich bitte dich, Wille. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Naivität hat hier keinen Platz. Für kleine Männer wie mich gibt es nur zwei Chancen im Leben: Entweder ich gehe auf die Bühne, damit man mich ernst nimmt, oder ich arrangiere mein Leben zu einem erfolgreichen Theaterstück. Man sollte viel häufiger in den Geringeren die Größeren sehen, glaub‘ mir. Mein Sohn ist über deinem in der Untertertia und weiß da so einiges zu erzählen. Er sagt, dass du einen sehr intelligenten Sohn hast, der von seinen Klassenkameraden mehr Prügel bezieht, als ihm gut tut, weil niemand ihn so akzeptiert wie er ist, weil er nicht mit den Wölfen heult. Auf seine Art ist er genauso ein Zwerg, wie ich es war.«
»Lassen Sie Thomas aus dem Spiel.« Frank knirscht mit den Zähnen.
Schotterbein schlägt mit der Handfläche auf den Tisch. »Was glaubst du, wie sehr mich die Dummheit hier ankotzt. Dummheit macht mir Schmerzen, diese hohlen Schädel um mich herum widern mich an. Ich gehöre genauso wenig unter Tage wie du.« Er fällt in den Stuhl zurück und schnauft.
»Deshalb bieten Sie mir eine Karriere an?«, stößt Frank hervor.
Schotterbein lächelt schräg. »Bist du unzufrieden mit meiner Entscheidung? Kommt das deinen persönlichen Ambitionen nicht
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