Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
...«
»Kaffee drüber gegossen.«
»Aus Versehen!«
»Mist!«
»Die Tat einer Buckligen nach fünfzig, bei der die Reflexe schwinden wie bei einem alten Jagdhund, dem man das Gnadenbrot verabreichen sollte. Ich habe gewissermaßen in dein Lieblingsbuch gebissen und meinen Sabber drüber pladdern lassen!«
Frank kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Typisch Muttel! Das Buch ist rar, eine Ausgabe von 1885. Nun ist es kaputt, wertlos, von Kaffee aufgeweicht. Es ist seltsam. Er sollte sich ärgern, sollte Muttel wegen ihrer Leichtfertigkeit Vorwürfe machen, aber ihm ist nicht danach. Noch immer schwingt der Traum in ihm.
Wer zuerst, Sie oder ich, Allemand?
Gewalt, Hass, Tod!
Was ist dagegen ein Buch? In Leder gebundenes Papier!
Oma Käthe stemmt sich hoch, füllt den Kaffeefilter mit Pulver, wartet das Topfpfeifen ab und gießt das Pulver auf, mit dem Rücken zu Frank, eine kleine Frau mit Buckel, eine prägnante Persönlichkeit, die ihre Maske nachdrücklich aufrechterhält. Zwar flüchtet sie sich hinter Ironie, aber Flucht hat auch immer etwas mit Vorsicht oder Angst zu tun.
Als hätte sie Franks Gedanken gelesen, dreht sie sich um und ihre schweren Brüste beben unter der Kittelschürze. »Ich könnte jetzt stundenlang rumheulen, wie Leid mir das mit dem Buch tut und so weiter, könnte es dir ersetzen, aber damit wäre dir überhaupt nicht geholfen, stimmt’s?«
Frank nickt still und stibitzt ihr eine Zigarette aus der 5er Schachtel. Rauchen auf nüchternen Magen – so weit ist’s schon gekommen!
»Helfen würde ich dir, wenn ich von hier verschwinde, dir dein Wohnzimmer, deine Bibliothek zurückgebe, euch allen den Familienfrieden.«
»Du vergisst, dass wir dich gebeten haben, uns zu helfen, solange wir noch hier wohnen müssen und bis Thomas alt genug ist, dass man ihn alleine lassen kann.«
»Das ist er schon lange«, antwortet Oma Käthe.
»Gut, dass wir das wissen, aber weiß das mein Sohn auch?«
»Das mit dem Faustbuch war eine dumme Sentimentalität. Ich wollte mich an ihn erinnern, an meinen Mann. Du musst wissen: Er war ein Gebildeter. Bevor ich ihn kennenlernte, hatte ich keine Ahnung von Goethe, wusste nichts über Kunst, nichts über Musik. Ich war eine schlesische Bauerntochter, die die Stiefel der Feldarbeiter putzte - dreckige Dinger, sage ich dir, denn sie waren immer verschlammt oder verstaubt - die Kühe melkte und mit den Männern das Heu einbrachte.«
»Warum bist du so traurig, Muttel? Das mit dem Buch kann’s alleine nicht sein, auch wenn es unerfreulich ist.«
Sie lässt den Kopf sinken, ihre Schultern hängen und sie sieht verletzlicher aus, als man meinen sollte.
»Er hat heute Geburtstag.«
»Geburtstag?«
»Jupp! Josef Klaus Maria Jäckel. Mein Gatte, den ich mit einundzwanzig geheiratet habe, der mich Anfang 1943 zur Witwe machte. Für Jupp war ich die schönste Frau der Stadt und an meinem Buckel hat er sich nie gestört. Wir hatten zwölf wunderbare Jahre zusammen, bis er mich für diesen Verrückten, dieses Hitlerschwein, verließ.« Sie nickt sich zu und füllt erneut den Filter. Scheppernd stellt sie den Wasserkessel ab und schiebt ihn mit einer resoluten Bewegung an den Rand der Herdplatte. »Heute hat Jupp Geburtstag und morgen dürfen wie seinen Todestag feiern. Stell dir vor, Frank, er lebt und stirbt und dazwischen liegt ein einziger Tag! Er gibt sein Leben hin für einen politischen Wirrkopf, für eine aberwitzige Idee. Abgesehen von mir, schert sich niemand einen Deut um den Mann, der zum Töten ausziehen musste und als Strafe dafür irgendwo, hübsch langsam, Zentimeter für Zentimeter in einem Sumpf bei Stalingrad ersaufen durfte. Na ja, immerhin ist mein Jupp für alle Zeiten mumifiziert, und wenn man den Sumpf irgendwann trocken legt - irgendein Iwan wird das schon tun, die wühlen nämlich in jedem Dreck rum! - findet sich mein Jupp vielleicht in einem Museum in Chelyabinsk oder wer weiß wo wieder, Unterschrift: Mumie eines bösen Nazis!« Sie lacht hart. »Kein Familienmitglied hat ein Bild von Jupp auf dem Schrank stehen, sie alle denken, der Klapperstorch hätte sie geliefert.«
Sie füllt zwei Tassen und kippt sich Kaffeesahne drauf, die sie eifrig umrührt. »Lotte hatte zehn gute Jahre mit ihrem Vater, Otto sieben Jahre, lediglich Rudi hat keine Erinnerungen an den Mann, der ihn gezeugt hat. Er war ein anständiger Vater. Ein strenger Mann, gottesfürchtig und gerecht.« Sie setzt sich.
Frank legt das beschädigte Buch zur Seite.
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