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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Zeitungsanzeige Die AVON-Beraterin bringt Geschenke für die ganze Familie, drei Parfümfläschchen Caléche von Hermes, das war’s. Obwohl Lotte sich fragt, was Schallplatten mit Mode zu tun haben, weckt die Gesamtgestaltung einen Nerv in ihr, der verwegen zu flackern beginnt. Wie würde sie sich in einem Minirock machen? Schöne Beine hat sie ja und auch sonst kann sie sich noch sehen lassen. Und dieser Duft von Hermes würde Frank bestimmt behagen. Um Haaresbreite hätte sie sich laszive Gedanken gestattet, dann nimmt die Preise wahr, die Gina für ihre edlen Waren verlangt:
    Mein lieber Scholli! Wer kann sich so was leisten?
    Sie mustert ihr Spiegelbild im Schaufenster. Ihr Kostüm ist schlicht, aber bequem und gradlinig. Sie hat es sich aus dem Quelle-Heft bestellt, das im letzten Jahr das erste Mal in ihrem Briefkasten gelegen hatte. Einfach einen Zettel ausfüllen, wegschicken und die Ware kommt ins Haus. Das ist die moderne Welt. Und man spart so viel Geld dabei, weil diese Produkte viel billiger sind als anderswo und dennoch gut aussehen.
    Ja, ich bin attraktiv!, denkt Lotte starrköpfig und stößt die Ladentür auf. Ein Glöckchen bimmelt.
    Drinnen sorgt ein Deckenventilator für eine angenehme Temperatur. Die Beleuchtung ist hell wie Sonnenschein, aber frischfarbiger, griffiger. Halogen nennt man dieses Licht, weiß Lotte, das gibt es erst seit wenigen Monaten. In diese Helligkeit tritt die Inhaberin, das herzförmige Gesicht perfekt zum Cleopatra-Look gestaltet, so wie es Mode ist. Die Augen mit herrlich langen falschen Wimpern verschönt, die Lippen blutrot, das Rouge elegant und unaufdringlich, die schulterlangen Haare braun gefärbt auftoupiert, in den Ohren blitzen Stecker, groß wie Fingerhüte, der füllige Pony liegt wie ein knapp hochgezogener Vorhang strenglinig über den Augen. Sie trägt ein rosafarbenes Minikleid, sehr schlank und dezent, dazu kniehohe Stiefel. 
    Die Frauen umarmen sich, tauschen Floskeln aus, bis Lotte die eine gewichtige Frage stellt: »Wie geht es Ottilie?«
    »Komm, wir trinken etwas. Du musst ja am Verdursten sein.«
    »Geht es ihr gut?«
    Gina lacht leise. »Sie wird jede Woche selbstbewusster. Sie ist schon eine richtige Frau.« Sie füllt zwei Gläser mit Mineralwasser.
    »Naja ... eine Frau?«
    »Sie ist fünfzehn durch.«
    Die Frauen trinken.
    Wie erschöpft sie aussieht, denkt Gina.
    Wie hübsch sie ist, denkt Lotte.
    »Wo ist Ottilie?«
    »Sie macht eine Besorgung, aber sag doch: Wie gefällt dir deine neue Arbeit?«
    »Ach weißt du ...« Lotte lässt die letzten Worte im Raum schweben und nippt am Wasserglas. Wie wohl der Ventilator tut.
    Gina nickt. »Scheiße, sag’s ruhig.«
    »Man verdient gut. Sehr gut.«
    »Gibt es denn keine andere Möglichkeit als die Wurstfabrik?«
    »Wir haben Pläne und brauchen das Geld. Umso dreckiger die Arbeit, desto mehr Verdienst.«
    »Alles für Haus und Garten, ich weiß«, lächelt Gina und streichelt mit dem Handrücken über Lottes Wange.
    »Außerdem sind es ja nur ein paar Stunden am Tag. Nachmittags und abends putze ich Büros. Da habe ich nette Kolleginnen.« Lotte zieht den Kopf unmerklich von Gina zurück.
    »Ich weiß – das hast du beim letzten Mal auch schon erzählt. Und dann hast du geweint.«
    »Komm, hör auf«, sagt Lotte verlegen. »Das muss eine hormonelle Sache gewesen sein, hat mein Frauenarzt gesagt.«
    Gina lächelt vielsagend und sagt: »Scheint ein echter Fachmann zu sein.«
    »Lass uns über was anderes reden.«
    »Wie läuft’s denn so mit Oma Käthe?«
    Lotte stellt das Glas ab. »Seitdem Muttel bei uns wohnt, auf Thomas aufpasst und den Haushalt schmeißt, ist es wie früher: Sie hat das Regiment übernommen! Du kannst dir vorstellen, was da manchmal los ist. Du kennst Muttel ja.«
    »Immer mit der großen Klappe vorweg.«
    »Dauernd hält sie mir vor, ich würde zu viel rauchen. Man könne Zigaretten schließlich auch einzeln kaufen. Was geht sie das an? Sie sollte sich an die eigene Nase fassen. Sie selbst gibt ihre halbe Rente für Qualmerei aus. Wie ich diese Doppelmoral an ihr hasse!«
    Regina schweigt und mustert ihre Schwägerin interessiert.
    »Vor ein paar Tagen hatten wir einen Riesenstreit, weil wir ihre Kocherei kritisiert haben. Sie machte eine schlesische Spezialität, Geschlinge [7] , und als Frank in den Topf guckte und meinte, so etwas Ekeliges würden wir nicht essen, hat sie ihr Strickzeug durch die Küche gepfeffert und rumgeschrien, wir wären undankbar, Frank sei

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