Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
Vom Netzwerk:
Karriere!
    »Warum durfte ich vorhin nicht an Ihrem Fußballfachwissen teilhaben?«
    »Ich dachte, wir würden über die Anzahl der verkauften Policen sprechen, nicht über die Anzahl von geschossenen Toren.«
    »Sie sind ein komischer Kauz, mein lieber Jäckel. Wenn es ums Verkaufen geht, müssen Sie über eine enorme menschliche Einfühlungsgabe verfügen, sobald sie sich außerhalb dieser Konstellation bewegen – wurde mir zugetragen und ich muss dies bestätigen – sind Sie ein Mann, den man nur bedingt sympathisch findet.«
    Ottos Kopf zuckt vor und zurück. Das sagt ausgerechnet dieses schwitzende Krötennilpferd zu ihm?
    »Ich weiß, dass man Sie auf eine gewisse Art argwöhnisch ... bewundert, wenn Sie verstehen, was ich meine, aber man mag Sie nicht. Sie haben nur wenige Freunde...«
    Und Otto fügt in Gedanken hinzu: Ich habe gar keine Freunde!
    »Sie wollen gerne Bezirksdirektor werden ...«
    Und Otto fügt in Gedanken hinzu: Ja, ja! Das will ich!
    »Das wird nicht geschehen, nicht unter diesen Bedingungen.«
    »Wie bitte?«
    Und Otto fügt in Gedanken hinzu: Wer wagt es, mich zu übergehen?
    »Ich könnte diese Entscheidung damit entschuldigen, dass Sie ein viel zu guter Verkäufer sind. Sie zu befördern, würde uns Unsummen kosten.«
    Otto stockt der Atem. »Heißt das«, quillt tranige Enttäuschung aus seinem Mund. »Heißt das, dass ich größere Aufstiegschancen hätte, wenn ich genauso faul, genauso apathisch wäŠre wie die meisten Männer hier? Wenn ich, anstatt zu arbeiten, im Schwimmbad liegen oder in der Kneipe sitzen würde? Ist denn ganz Deutschland bekloppt geworden, nur weil Siggi Held Tore schießt?« Otto verschluckt sich. Um Himmels willen, was hat er da gesagt? Außerdem ist er dem Landesdirektor ins Wort gefallen, bevor dieser seinen Satz hatte.
    Der Landesdirektor nickt freundlich und findet, dass dieser glatte Mann sich wie ein trotziger Gnom gebärdet, den man in einen edlen Zwirn gesteckt hat. Er lässt Otto einfach stehen, quetscht sich seine Aktentasche unter den Arm und im Vorbeigehen hält er noch einmal inne. »Wissen Sie, Herr Jäckel ... Alle Wesen leben vom Licht. Darauf kommt es an. Gehen Sie raus, genießen Sie den Sonnenschein, diesen herrlichen Dienstag, setzen Sie sich in ein Lokal, trinken Sie einen Kaffee, führen Sie ihre Frau aus, erfreuen Sie sich an diesem sonnigen Tag, von denen wir in Berlin nicht viele erleben, lesen Sie eine Zeitung oder ein gutes Buch, sprechen Sie mit Ihren Kollegen und versuchen Sie, diese zu begreifen, leiden zu mögen, damit man ihnen Gleiches zurückgibt, und wenn es an der Zeit ist ... wenn es an der Zeit ist, arbeiten Sie. Hart, beharrlich und glücklich.«
    Ottos Brille beschlägt.
    Der Landesdirektor tippt sich mit dem Zeigefinger grüßend an die Stirn. »Auf dass Deutschland Weltmeister wird!«
    Weg ist er und lässt eine übelriechende Schweißwolke zurück.
    Otto ist wie betäubt.
    Wie konnte das geschehen?
    Ganz langsam zieht sich der Schleier vor seinen Gedanken weg, gibt dumpfe Empörung frei.
    Er setzt sich an den Tisch, vor Kopf setzt er sich, an den Platz, der ihm zusteht, vor Kopf!, und er nickt den imaginären Mitarbeitern zu, weltläufig, erst nach links, versiert, dann nach rechts, souverän, öffnet seinen Aktenkoffer, gelassen, und legt seine blaue Mappe vor sich hin. Die hat er immer dabei, die blaue Mappe, denn die gibt ihm Kraft. Er schlägt sie auf und studiert die Rennliste. Platz 3 – Otto Jäckel! Platz 3, träumt er, Platz 3 und bald Platz 2, irgendwann vielleicht Platz 1 und dann, dann kann man ihn nicht mehr übergehen, dann wird man ihn ins gehobene Management holen müssen.
    Aus heiterem Himmel ruht eine Hand auf Ottos Schulter, der aus seinem Traum hochfährt, als habe ihn ein Insekt gebissen.
    »Entschuldigen Sie, Herr Jäckel. Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Der Landesdirektor ist noch einmal zurückgekehrt, was Otto über seiner Geistesabwesenheit nicht wahrgenommen hat. Er grunzt und schiebt den Stuhl zurück. Erneut steht er vor dem Krötennilpferd. Nimmt denn die Erniedrigung kein Ende mehr? Ist das die Art, mit der Fleiß vergolten wird?
    »Hören Sie, Jäckel – Sie können sowieso nicht aus Ihrer Haut, nicht wahr?« Der Landesdirektor schmunzelt und wartet Ottos Antwort nicht ab. »Womöglich war ich grade etwas hart zu Ihnen. Immerhin kommt es für eine Führungskraft nicht darauf an, geliebt zu werden. Wer geliebt wird, ist ausnutzbar. Für uns zählen ausschließlich Umsatzzahlen.

Weitere Kostenlose Bücher