Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
ist mir ganz wurscht! Ich will, dass du ins Haus gehst. Dann werden wir uns unterhalten.«
»Nein, Mama!« Zwei bestimmte Worte. Zwei Worte, die Lotte nicht erwartet hat.
Die Türglocke bimmelt in Lottes Rücken und Gina tritt auf den Gehweg.
»Lotte«, sagt Gina. »Bitte – mach’ keinen Skandal. Salvatore ist ein netter Kerl. Ich kann dir alles erklären.«
»Ach, was du nicht sagst!« Lotte fährt herum.
Du verrennst dich, denkt Gina.
Du bist ein Miststück, denkt Lotte.
Du machst einen Fehler, denkt Gina.
Du hast mich verraten, denkt Lotte.
»Ja, Gina! Jetzt verstehe ich alles! Du bist mir schon ein feines Früchtchen. Deshalb das ganze Gerede darüber, dass Ottilie schon fast eine Frau ist ...«
»Hör doch auf Mama! Gina kann doch nichts dafür«, unterbricht Ottilie und Lotte wendet sich wieder ihrer Tochter zu. Ihr ist nicht entgangen, dass Ottilie sich die Tante gespart hat.
»Ich will jetzt nicht diskutieren.« Sie schleudert ihren Zeigefinger gegen Salvatore, »Du, du Halbstarker, du verschwindest jetzt«, dann gegen Ottilie »und du, mein Fräulein, meinst wohl du bist so eine richtige Motorbiene, was? Da hast du dich geschnitten. Du kommst mit mir mit. Und zwar dalli, dalli! Ich dachte, du wärest hier bei deiner feinen Tante gut aufgehoben. Wenn ich da geahnt hätte.«
»Was, Mama? Was meinst du mit geahnt?« Ottilies Augen sind kühl und feucht, ihre Lippen zucken, ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen. Eine Mischung aus Trotz, Zorn und Trauer.
»Du bist erst fünfzehn ...«
»Alt genug.«
»Alt genug wofür?«
»Das geht dich gar nichts an, Mama.«
»WOFÜR?«
»Für alles, was ich will, Mama!«
Lotte erschaudert. Ihr wird klar, dass sie, die sie so viel Wert auf Disziplin legt, auf dem Kurfürstendamm in Berlin ihrer Tochter eine entwürdigende Szene macht. Da drüben bleiben die Leute schon stehen und flüstern miteinander.
Erschwerend ist: Ihr bleiben nur Worte. Und die will Ottilie nicht hören.
»Und wie du schon aussiehst in diesen Klamotten.«
»Na, Mama? Wie denn, Mama? Wie eine Nutte oder was? Das meinst du doch, hab’ ich Recht? Immer willst du alles kontrollieren! Immer, immer!«
Lotte zittert wie Espenlaub.
»Schau dich mal an. Du bist ja wie eine Furie. Du stellst dich schrecklich an. Dabei ist alles ganz anders, als du denkst«, schreit Ottilie.
So etwas hat sie noch nie aus dem Mund ihrer Tochter gehört. Warum ist sie wütend? Warum gebärdet sie sich wie eine Verrückte gegen ihre Mutter? Was ist mit ihrer Kleinen passiert, von dem sie nichts mitgekriegt hat?
Sie greift nach Ottilies Arm, will ihre Tochter von dem jungen Mann mit dem italienischen Namen wegzerren, sie zurückbesitzen, sie zurückholen, alles zurückgeschehen machen, aber das Mädchen weicht ihr aus, huscht vor ihrer Mutter weg und bringt den Motorroller zwischen sie beide. Geschmeidig wirft sie ihr Bein über den Rücksitz, schlägt Salvatore mit der flachen Hand auf den Rücken, so wie man einen müden Gaul antreibt, der schmeißt die Maschine an und der Roller macht einen Satz nach vorne. Lotte springt hinterher, ihre Finger tasten ins Nichts, es ist zu spät.
Dieser, dieser ... Salvatore entschwindet mit ihrer Tochter hinter der nächsten Biegung.
Stiehlt sie. Weg von Mama. Weg von der Familie.
Entführt sie.
Und sie ist angezogen und geschminkt! Himmel noch mal GESCHMINKT wie eine ...
... wie eine, auf die eine gute Mutter nicht aufgepasst hat!
Lotte macht ihren Stoßseufzer, lang gezogen, als wenn sie erstickt.
Regina versucht, ihr händeringend zu erklären, dass sie sich irrt, dass sie einen Fehler begeht, dass sie überreagiert hat.
»Ich habe keine Lust mehr auf Lügen!« faucht Lotte und geht davon. Nach ein paar Schritten bleibt sie noch einmal stehen, dreht sich um und ihr Zeigefinger schnellt vor. »Und richte meinem feinen Töchterchen aus, dass ich sie morgen in Bergborn sehen möchte. Sie wird wieder bei uns wohnen!«
Regina möchte etwas sagen, möchte erklären, aber das hat keinen Zweck mehr, denn Lotte Wille hat eine Entscheidung getroffen.
5
Frank ist unten vor dem Haus und atmet den Sommer.
Mit Spaten, Hacke und Schüssel bewaffnet macht er sich daran, auf der Gartenfläche, die den Mietern zugestandene Krume, damit sie Gemüse anbauen können, seinen Traum zu verscheuchen. Zwischen den Kartoffeln, dem Rhabarber und den Karotten sprießt Unkraut.
Bald schon glänzt der Schweiß auf Franks Oberkörper im Sonnenschein, während er den Acker
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