Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
reinigt, Unkraut auf den Misthaufen wirft, die Krume harkt, eine Schüssel mit Erdbeeren füllt.
Mmmh! Lottchen kocht die beste Erdbeer-Rhabarber-Marmelade der Welt. Dann wird der gigantische Einkochkessel auf dem Herd brodeln und das ganze Haus duftet nach Zucker und Frucht.
Frank richtet sich auf und streckt seinen Rücken. Wie schön es doch hier an der Erdoberfläche ist, wo die Sonne strahlt. Wie alle Kumpels hat auch Frank ein spezifisches Verhältnis zum Licht, beinahe schon eine Sucht nach Wetter. Das macht den Kopf frei vom Kohlenstaub, das ist Dasein!
Rechts versetzt vom Haus, das von den Kaninchen- und Fahrradschuppen teilweise verdeckt ist, schwingen die Fahnen an den Masten der Lebensfreude Bergborn im milden Sommerwind.
Oh Mann, da haben wir alle Glück gehabt, erinnert sich Frank. Obwohl das Foto seiner mitternächtlichen Eskapade in der Rundschau erschienen war, hatte ihn niemand erkannt. Der Zufall hatte dem Bild zu einer ästhetischen Komposition verholfen. Darauf war an der Spitze eines Flaggenmastes ein Mann zu sehen, dessen markante Silhouette einen Arm draufgängerisch reckt, als wolle er den Vollmond ergreifen, der hinter ihm groß und weiß am Himmel steht. Das Bild war mittlerweile in verschiedenen Zeitungen erschienen, da es eine heroische Anmutung hat, etwas Allegorisches, ähnlich jener emphatischen Gemälde, die Krieger beim Aufstellen einer Flagge im Feindesland zeigen.
Klar – Oskar hatte ein paar dumme Bemerkungen gemacht, ansonsten jedoch dichtgehalten. Auch der alte Knopp wird sich, falls er das Foto überhaupt wahrgenommen hatte, seinen Teil gedacht haben.
Das Foto hatte dem Fotografen, einem gewissen Mike Stern zu lokalem Ruhm verholfen.
So war Frank, oder besser sein Schattenriss, zu anonymer Popularität gelangt.
Getöse reißt Frank aus seinen Betrachtungen. Er stützt sich auf die Harke und blinzelt gegen die Sonne. Was ist da auf dem Hof vor dem Haus los?
Mehrere Jugendliche wirbeln die Asche auf, deren Staub grau vor dem roten Backstein in der Sonne funkelt, dann gruppieren sie sich um jemanden. Er erkennt plötzlich, dass es sich um Thomas handelt. Die Jungen umkreisen ihn wie Raubtiere ihre Beute.
Frank weiß, dass sein Sohn bei seinen Klassenkameraden polarisiert – Lotte hat ihm oft genug ihr Leid darüber geklagt – , er weiß von zerbrochenen Brillenbügeln und davon, dass sein Sohn Auseinandersetzungen zwar hasst, ihnen aber nicht aus dem Wege geht. Was man, fügt er in Gedanken hinzu, tunlichst nur dann machen sollte, wenn man bereit ist, sich mit Haut und Haaren zu verteidigen. Und das ist Thomas nicht.
Gewalt!, denkt Frank. Sie nimmt kein Ende, führt aus dem Traum hinaus ins Tageslicht.
Sie schieben seinen Sohn, diesen schlaksigen, intelligenten Jungen, den er über alles liebt, sie knuffen ihn und einem ersten Reflex folgend will Frank dazwischen gehen, diesen Radaubrüdern die Ohren lang ziehen, Ohrfeigen verteilen, denn es schmerzt ihn, das mit ansehen zu müssen.
Er spuckt aus, legt die Harke weg und schleicht sich hinter die Wellblechgarage, von wo er einen sehr guten Blick auf die Aktion hat, ohne selber gesehen zu werden.
Einer der Jungen stößt Thomas immer wieder mit der flachen Hand vor die Brust. »Na du Memme, hau doch zurück, oder hast du die Hosen voll?«
»Lasst mich in Ruhe ...«
»Sonst holst’e wohl deine Mama, oder was?«
»Mama, Mama, ich hab Aua Weh«, quiekt einer der Drei und führt einen Veitstanz auf.
»Tom, Tom, der Knochenmann, der nicht mal richtig kloppen kann«, singt ein anderer, währenddessen der dritte Junge, breiter als seine Gehilfen mit einem kugeligen Kopf und tief liegenden Schweinsäugelein unter dichten Brauen – ein Fettwanst!, wie Frank registriert, ein Schwabbel, den man mit einem gezielten Schlag zu Boden strecken könnte, der aber durch seine Fülle einschüchternd wirkt wie ein Bagger, währenddessen also der Dicke sich Thomas schnappt, dessen Kopf unter den Arm klemmt, ihn in den Schwitzkasten nimmt, sodass Tom die Brille auf die Nase rutscht. Der Dicke klopft mit der freien Hand vor Thomas’ Stirn. »Hallo, hallo, Knochenmann, aufmachen, Knochenmann. Mama hat Brei gekocht, Knochenmann. Hallo, ist jemand zu Hause?«
Seine zwei Gehilfen amüsieren sich köstlich und der Dicke drückt Thomas in die Knie. Dessen nackte Beine bohren sich jetzt in die Asche, seine Brille fällt in den Staub. Einer, ein rothaariger Bursche, hebt drohend seinen Fuß über das Gestell. »Na, Knochenmann – soll ich
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