Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
unverschämt und so weiter. Ich glaube, sie war kurz davor abzuhauen.«
»Und?«
»Du kennst doch Frank. Mit Muttel hat er eine Engelsgeduld.«
»Er ist ein Filou. Er flirtet mit ihr und wickelt sie um den Finger.«
»Was mich manchmal nicht besonders glücklich macht. Dann finde ich, er nimmt Muttel ernster als seine eigene Frau.«
»Unsinn, Lottchen. Du weißt doch, wie sehr er dich liebt.« Gina schüttelt lächelnd den Kopf. »Sei froh, dass er Oma Käthe im Zaum hält.«
Sie trinken und nach einer kleinen Weile fragt Gina: »Vielleicht fühlt Oma Käthe sich manchmal nicht wohl bei euch, weil sie weiß, dass sie den Familienfrieden stört?!«
»Mag schon sein«, zuckt Lotte mit den Achseln.
Aber es interessiert dich nicht!, fügt Gina in Gedanken hinzu. Weil da etwas zwischen euch beiden ist, was zu einer Hassliebe geführt hat, die sich gewaschen hat.
Lotte seufzt. »Auch bei Frank hat sich immer noch nichts geändert. Nachdem er sich mit seinem Steiger gestritten hat, wird er nur noch für die miesesten Arbeiten eingesetzt, obwohl er eine Eingabe beim Betriebsrat gemacht hat. Aber diese Herren interessiert das nicht. Die Schikane macht ihn fix und fertig. Außerdem hat er zu viele Doppelschichten. Manchmal sehe ich ihn eine ganze Woche lang kaum. Ich hab dir ja mal erzählt, wie schwer es ihm fällt, tagsüber zu schlafen. Das geht jetzt fast zwei Jahre so. Entsprechend griesgrämig ist er. Und zu allem Überfluss nimmt Muttel ihm noch seine geliebte gute Stube, seine Bücher weg, weil sie da auf dem Sofa schläft.«
»Da hat’s Tom mit seinem eigenen Zimmer besser als der Rest der Familie.«
»Thomas ist in der Pubertät, was eine Geschichte für sich ist, und er hat Probleme in der Schule. Vielleicht schicken wir ihn in den Herbstferien in ein Kinderkurheim an die See. So spindeldürr wie er ist kann er da mal ein bisschen Speck ansetzen. Die sind auf so was spezialisiert. Außerdem haben wir dann für ein paar Wochen Muttel vom Hals.« Lotte lächelt bitter: »Willkommen bei den Willes!«
»Es werden bessere Zeiten kommen.«
»Ich bin so froh, dass es Ottilie gut hat bei dir.« Verführt von einer kostbaren Innigkeit nimmt sie ihre Schwägerin in den Arm. Diesmal wird sie nicht weinen. Diesmal nicht!
Über Ginas Schulter hinweg sieht sie durch die Schaufensterscheibe, dass draußen ein Motorroller vorgefahren ist. Auf dem Rücksitz hockt Ottilie, die Arme um den Oberkörper eines jungen Mannes geschlungen, die Wange an dessen Rücken gedrückt.
Sie hopst federleicht vom Sitz, die schlanken Beine blitzen, der Minirock verdeckt kaum ihren Po. Ihre kleinen Brüste wippen ungestützt unter der ärmellosen Bluse, deren rote Punkte einen anmutigen Kontrast zu den blonden Locken des Mädchens bilden, das sich auf die Zehenspitzen reckt, die Arme ausstreckt und sich dreht wie eine Märchenprinzessin, die soeben von einem Prinzen erweckt wurde. Ihr durchscheinendes Gesicht leuchtet verzückt. Makellos weiße Zähne schimmern zwischen weichen Lippen, deren Rot durch Wangenrouge betont wird.
Sie sieht aus wie ein Engel!, denkt Lotte und für eine Sekunde ist sie stolz auf ihre Tochter. Dann trifft es sie wie ein Blitz, denn Ottilies Augenaufschlag gilt dem Lächeln des Jungen, dessen schwarze Haare vom Fahrtwind zerzaust sind, der einen Kamm aus der Gesäßtasche zieht und, während die Handfläche der anderen Hand wie beschützend über Kamm und Haare schwebt, seine Frisur ordnet. Dann dreht er sich zum Schaufenster, als fühle er sich beobachtet.
Der Junge ist sehr attraktiv, ein dunkelhaariger Peter Kraus. Braune Muskeln spielen unter den Ärmeln des weißen T-Shirts, das Haar ist im Nacken und über den Ohren viel zu lang, sehr verwegen, die Augen schimmern geheimnisvoll, der Junge ist achtzehn oder neunzehn, wenn nicht älter.
Mit einem Aufschrei drückt Lotte ihre Schwägerin weg, reißt die Tür auf und stolpert auf die Straße. Sie baut sich vor ihrer Tochter auf, reißt den Arm hoch, ihr Zeigefinger weist auf die Tür und sie stammelt: »Rein da, rein - ins - Haus!«
»Mama ...« Ottilie erstarrt.
»REIN INS HAUS!«
Der Junge weicht zurück. Der Konflikt verdüstert sein Gesicht.
Ottilie sucht Schutz bei ihm, drängt sich von ihrer Mutter rückwärts an den Motorroller, der Junge fängt sie auf, sein Arm legt sich um Ottilie, eine Hand auf ihrem Bauch, knapp unter den Brüsten.
»Lass meine Tochter los!«, herrscht Lotte den Jungen an.
»Er heißt Salvatore«, zischt Ottilie.
»Das
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