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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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machen – soll ich?«
    Tom ächzt und versucht sich aus dem Griff des Dicken zu befreien.
    Pack ihn zwischen die Beine und reiß ihm seine winzigen Eier raus!, möchte Frank seinem Sohn zurufen, stattdessen drückt er sich an das heiße Wellblech, während ihm der Schweiß über Gesicht und Oberkörper rinnt. Er zittert erregt, möchte eingreifen, darf aber nicht. Das würde Thomas noch viel mehr schaden, würde ihn zum Gespött der Schule machen.
    Der Fuß des Rothaarigen schwebt bedenklich über den Brillengläsern, während Tom resigniert verharrt und das Klopfen auf seinen Schädel hinnimmt.
    Der dritte Junge, selber hochgewachsen und schmal, aber erkennbar mit den richtigen Freunden, geht vor Tom in die Hocke und verdreht ihm die Nase, quetscht und zupft daran, bis Tom vor Schmerzen stöhnt und Tränen aus seinen Augen rinnen.
    »Arschloch«, zischt Tom und rotzt. Sein Speichel platscht auf die Sandalette des Dicken.
    »Du bist wohl bekloppt?«, brüllt dieser und schwenkt seinen Fuß, als habe sich ein glitschiger Frosch draufgesetzt. Dabei dreht er sich und reißt Tom aus den Knien hoch, zerrt und zieht den in seiner vorübergebeugten Haltung erstarrten Jungen mit sich.
    Mir reicht’s, denkt Frank. Jetzt gehe ich hin und benutze die Hinterteile dieser Kerle als Fußball.
    Gerade jetzt öffnet sich die Haustür und Herr Rampf tritt in die Mittagssonne, den obligatorischen Zigarrenstumpen zwischen den Zähnen. Er baut sich auf, steckt die Daumen hinter die Hosenträger und bellt: »Sofort aufhören!«
    Die Jungen fahren hoch.
    Tom ist frei.
    »Dat is ja woll noch schöner«, bullert der Alte. »Drei gegen einen und dann dat noch vor alle Augen. Ja, nee, watt für Feiglinge seit ihr.«
    Frank verlässt sein Versteck und kommt auf den Hof wie jemand, der zufällig seines Weges geht.
    Tom hebt seine Brille auf.
    Die Jungen schätzen ihre Chance ein. Zwei Erwachsene sind eine Übermacht, der sie sich nicht gewachsen fühlen.
    Der Dicke macht eine Bemerkung, die sich anhört wie: »Morgen geht’s weiter, Knochenmann!« Dann nehmen sie die Beine in die Hand und trollen sich.
    Tom ordnet seine Kleidung. Er sieht verlegen aus.
    »Na, Herr Wille. Da hahm se watt verpasst«, sagt Herr Rampf. »Diese Kerle wollten ihrem Sohn anne Buxe.«
    »Danke, dass Sie eingegriffen haben«, murmelt Frank. Er packt Tom am Arm und schiebt ihn zur Haustür. Der Alte tritt beiseite.
    »Manches wird nie anders«, sagt Herr Rampf. »Die Starken machen die Schwächeren platt.« Und zu Tom gewandt: »Du bist doch’n großer Seejass [8] , Thomas. Greif dir den Anführer und gib ihm Saures. Dann hasse ein für alle Mal Ruhe.«
    »Danke, Herr Rampf«, wiederholt Frank.
    Er schiebt Tom ins Haus, der die Treppe hochklettert wie ein geprügelter Hund. Vor der Verschlagtür bleibt er stehen.
    »Du warst die ganze Zeit da«, sagt er leise. Sein schmaler Hals zuckt und seine Augen füllen sich mit Tränen. »Du warst die ganze Zeit da, Papa!«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Du warst die ganze Zeit da. Ich hab dich hinter der Garage gesehen«, wiederholt Tom diesen Satz wie ein Mantra.
    »Lass uns erst nach oben gehen«, nickt Frank zur Tür hin.
    Unten wird die Haustür geschlossen und Herr Rampf stapft hinter ihnen die Stufen hoch.
    Frank fummelt den Wohnungsschlüssel aus der Hosentasche. Es fröstelt ihn, denn der Schweiß trocknet auf seinem nackten Oberkörper. Er schließt die Tür auf. Als Tom an ihm vorbeischleicht, verhält er und sieht seinen Vater direkt in die Augen. »Du hast dir alles mit angeguckt.«
    »Aber Tom ...«
    »Warum ...?«
    »Darüber reden wir, wenn du dich sauber gemacht hast.«
    Tom lächelt schief und zieht die Nase hoch. Eine dicke Träne kullert über seine Wange. Verzagt sagt er: »Papa, findest du, ich bin ein Feigling?«
    Und läuft die Treppe hoch wie ein Gejagter.
    Franks Magen bäumt sich auf. Ein kalter Finger gleitet über seinen Rücken.
    Ist es schon so weit gekommen?
    Gewalt!
    Es gibt so viele Formen der Gewalt.
    Und die seelische ist die Schlimmste.
    Papa, bin ich ein Feigling?, hallt Thomas’ Frage in ihm wider.
    Frank erfasst, wie weit er sich in den letzten zwei Jahren von seinem Sohn entfernt hat, wie wenig er von dessen Leben weiß.
    Man sagt, dass wer ein Ziel hat, automatisch die Mittel akzeptiert, die dorthin führen. Mit Schotterbein hatte er über Absicht und Konsequenz gesprochen und diese abgelehnt.
    Stattdessen, erkennt Frank, während er hinter Tom müde die Treppe hochklettert, hat er

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