Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Vater.
»Öffnen?«, fragt Tom.
»Öffnen!«, befiehlt Vater.
Das ist ruckzuck geschehen und das Kribbeln auf Toms Rücken wird immer stärker, bis er innerlich fast explodiert als er sie auf seinen Knien balanciert: Eine Schreibmaschine! Eine wunderschöne, graue Mercedes-Schreibmaschine mit einem frischen Farbband. Das ist, das ist ... Wahnsinn! Und dann noch mitten im Sommer und Geburtstag hat Tom auch schon gehabt.
»Wenn du deine Geschichten anbietest, sollten sie gut lesbar sein«, lächelt Vater und Mama lächelt auch und reicht noch ein zweites Päckchen nach. Papier!
»So, Filius.« Vater steht auf. »Du hast jetzt Zeit bis Freitag, also übermorgen. Dann möchte ich die Geschichte, fein säuberlich abgetippt, vorliegen haben. Was dann geschieht - lass dich überraschen!«
Und raus sind sie.
Mutter kommt noch mal zurück. »In fünf Minuten wird gegessen.«
Tom hat vergessen, sich zu bedanken. Dafür ist er viel zu überrascht, nahezu erschlagen von diesem außergewöhnlichen Geschenk, das nicht willkommener hätte sein können. In wenigen Tagen beginnen die Sommerferien. Zeugnisse wird er glücklicherweise noch keine kriegen, da über seine Versetzung als Teil eines Kurzschuljahres erst im November geurteilt wird. Er wird also unbeschwerte sechs Wochen Zeit zum Schreiben haben.
Und wieder eine der Erinnerungen, die bleibt. Dieser Moment der Erneuerung, des Wandels, der eigenen Erkennung – unvergesslich vergesslich!
Auch an diesem Nachmittag besorgt er Botengänge für Frau Marek.
Alles auf der Welt hat seinen Preis!, hatte Herr Schönfeld geblinzelt und Tom konziliant auf die Schulter geklopft.
Es war vor etwa sechs Monaten gewesen. Herr Schönfeld hatte Tom gefragt, ob er sich vorstellen könne, für eine alte Dame hin und wieder Besorgungen zu machen. Tom, der nicht vergessen hatte, dass er seinem Klassenlehrer etwas schuldig ist, stimmte gerne zu. Frau Marek, so ihr Name, wohne nur ein paar Straßen entfernt in einer kleinen Mietwohnung und sei zu gebrechlich, selber einkaufen zu gehen.
Nie würde Tom vergessen, wie sie ihn das erste Mal durch die angelehnte Tür mit ihrer heiseren Stimme in die kleine Mietwohnung am Rande von Bergborn hereinhieß. Er solle einfach nur öffnen, es sei nicht abgeschlossen.
Der düstere Flur roch muffig, süß, abgestanden und getränkt von kaltem Zigarettenrauch. Es dauerte eine Weile, bis Toms Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Alte Teppiche auf dem Boden im langen Flur, Bilder mit Rehen und Hirschen, eine altbackene Truhe mit Deckchen darauf, an der Wand zwei Kleiderhaken und ein Schirmständer, der leer war.
Tom hatte das unbestimmte Gefühl, er betrete ein Geisterhaus, oder besser, eine Geisterwohnung.
»Nun steh nicht rum und mach, dass du reinkommst!«, befahl die Frauenstimme. »Ich kenne dich, Junge. Ich habe dich am Fenster beobachtet. Die ganze Zeit schon, die du vor dem Haus herumscharwenzelst. Ich weiß von dir.«
Tom hatte eine Gänsehaut auf dem Rücken und machte einen Schritt vor den anderen.
Oh Manno! Das ist aber ziemlich grausig. Es stinkt nach Schweißfüßen und es ist dumpfig hier drinnen, und die Stimme hat so was von einer Hexe, die sich auf einen feinen Happen Menschenfleisch freut. Eigentlich, dachte er, will ich umkehren, will einfach nur abhauen, egal, ob Herr Schönfeld schimpft oder nicht!
»Hast du Zigaretten dabei?«
Nein, wollte Tom in die Dämmerung hineinrufen. Keine Zigaretten, aber den Auftrag, mich um Sie zu kümmern.
»Seit wann schickt er mir Schnecken? Ich will ein Rennpferd und keine Schnecke!«
Am Ende des Flurs gab es eine Tür, die angelehnt war und die nun quietschend aufschwang. Gegen das Licht eines Fensters erschien dort die Silhouette einer Person, die im Rollstuhl saß, bewegungslos, ein gespenstischer Scherenschnitt.
»Mach dir nicht in die Hosen, Junge, und komm ein paar Schritte näher, damit ich dich betrachten kann!«
Der Rollstuhl fuhr mit einer fließenden Bewegung zurück, kurvte zur Seite und Tom betrat das Zimmer, ganz vorsichtig, denn man konnte ja nie wissen, was da lauerte.
Hier, wo der Wohnraum ist, stinkt es noch überwältigender nach Qualm, anders als zu Hause, wo Vater und Mama und Oma auch paffen, was das Zeug hält, eher wie eine Mischung aus vollem Aschenbecher gepaart mit etwas Süßem, Schweißigen, ein bisschen wie Fisch oder so.
Jedenfalls konnte Tom jetzt etwas mehr erkennen, da durch die nahezu geschlossenen Vorhänge, wie ein paar glühende Finger,
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