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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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angezündet, ausgedrückt, angezündet.
    »He, gib mal ne Zwölfer Overstolz!«
    »Nee, nee, jetz is Zeit für ne Handelsgold, ach was! für was Echtes! Gib mal ne Rössli rüber!«
    »Micha, halt die Scheißtür auf! Man erstickt ja hier drin! Krchk! Höch!«
    »Steck doch einfach nen Bierdeckel unter die Tür!«
    Glas splittert, ein Aschenbecher geht auf den Steinfliesen zu Bruch, niemand achtet darauf, was währenddessen in London geschieht.
    Dass dort der Ausgleich fällt.
    Denn Geoff Hurst hat den Ball reingetan. Zack! Einfach so ...
    Totenstille.
    Wann ist denn das geschehen? Man war doch grad so schön am feiern ... Und das alles nur ein paar Minuten später?
    Gleichstand!
    Na und? Nix gewonnen, aber auch nix verloren. Ist alles noch drin! Kumpels, wie halten den Kopp hoch und hau’n noch einen wech! Immer schön positiv denken! Was hat der olle Herberger gesagt? Das Spiel dauert neunzig Minuten und der Ball ist rund!
    »Zwei Bier und zwei Kurze, Frida!«
    »Und nich im Krug oder hab ich Lederbuxen an? Gib mich n Stövchen!«
    »Nu mach hinne!«
    »Mama, hol mich vonne Zeche! Guck dir mal an, wie der Willi Schulz sich einen abbricht. Oh, nein! Dat is ja nicht zum hinschalinsen! Der läuft ja wie Oppa seine Kröpper, wenn se inne Mauser sind.«
    »Mach man keine Kamine, Hugo! Dem Willi is immer noch besser als Emma.«
    »Emmerich? Mach ma die Klüsen auf, wenn stramme Bubis mit’m Ball zappeln! Hast wohl schon vergessen, wie er Liverpool letztes Jahr im Europapokal weggeputzt hat. Ohne Emma wä’ Borussia ganz schön alt ausgesehen.«
    »Seh’n se sowieso. Als ich letzten Monat auf Schalke war ...«
    »... gegen Tasmania Berlin?«
    »Kennt irgendwer Schalke?«
    Allgemeines Lachen. Krchk! Krchk! Höch!
    »Is so ... da hat der Herrmann zwei reingetan und die Jungs ham 4:0 gewonnen.«
    »Tasmania, das ich nich lache. Sind doch sowie die Letzten in der Tabelle. Da kann Schalke mal so tun, als könnten se Fußball spielen.«
    ».. und Borussia Berlin is auf Zwei! Sag’ ich’s doch!««
    »Haltet doch mal die Klappe, Kumpels! Wen interessiert der Scheiß? Liga war gestern, heute is WeEm!«
    »Da, da!«
    »Nu schiiiieß doch, du Arschkrampe!«
    »Ja, jetzt!«
    Man springt auf, zeigt mit dem gestreckten Arm auf das Fernsehgerät, aber der Ball geht ins Aus. Eckball für Deutschland. Viele Chancen, ein dramatisches Spiel, alles in schwarzweiß und draußen ist der Himmel grau, der Schiedsrichter pfeift Halbzeit und noch immer hat niemand die Tür aufgemacht.
     
     
     

13
     
    Cemir Cülcze hat Aysel, seiner Frau, einen Brief nach Hemite geschrieben. Der Umschlag ist großformatig, damit er darin die viertausend Mark verstauen kann, in Schreibmaschinenpapier gewickelt, Geld, das er in den letzten Jahren nebenher gespart hat. Damit wird Aysel sich ein schönes Haus kaufen können. Das ist das Mindeste, was Cemir für sie tun kann. Immerhin wird sie lange, lange Zeit alleine sein, vielleicht den Rest ihres Lebens.
    Cemir mag keinen Fußball und genießt die Ruhe, denn das Bullenkloster, die Sammelunterkunft für ledige Bergleute am Stadtrand von Bergborn, ist, bis auf ein paar Ausnahmen, wie leer gefegt. Sie alle sitzen zum Fußball-Endspiel in Kneipen oder haben sich zum gemeinsamen Besäufnis bei Freunden zusammengefunden.
    Irgendeine Arbeitsgemeinschaft für Bergmannsbetreuung hatte dieses Bullenkloster gegründet, soviel weiß Cemir. Da gab es wohl auch noch ein kulturelles Anliegen – na ja! Seine Freude am Lernen, die er schon als Student in Ankara hatte, war erneut erwacht. Deshalb besucht Cemir einen Deutschkurs, interessiert er sich für diese Dinge. Irgendwann wird auch dies alles ein Teil der Zeitgeschichte sein.
    Die Bullenkloster, Wohnheime und Lager für junge Bergleute, waren nach dem Krieg im Schatten der Fördertürme aus dem Boden gestampft worden. Erbärmliche Lebensumstände. Die Stimmung hier ist denkbar schlecht. Saufgelage und Schlägereien sind an der Tagesordnung. Manchmal kommt Cemir sich vor, wie es 1940 in Deutschland gewesen sein muss. Dafür sorgen vor allen Dingen deutsche Junggesellen. Es gibt täglich böswillige Äußerungen und Diskriminierungen, denen sich viele seiner Landesgenossen durch Einverleibung zu entziehen versuchen, was bedeutet, dass Hasan und seine Freunde fortwährend besoffen sind und sich mit Mädchen herumtreiben. Hierhin, in des Teufels Wohnzimmer, hat es Cemir verschlagen, nachdem seine ehemalige Wohnstätte, nur zweihundert Meter Luftlinie entfernt, wegen

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