Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
man sich selber gegenüber integer bleiben will, weil diese Integrität wichtig ist, um sich im Spiegel betrachten zu können; er erinnert sich seiner Ahnung, dass somit eine Entscheidung viele andere Entscheidungen nach sich zieht und man deshalb beizeiten darüber nachdenken sollte, was man tut.
Und daran, dass er annahm, sich fast sicher war! dass man Entscheidungen nicht der Leidenschaft, sondern dem Verstand überlassen sollte. Aber der, weiß er nun, tickt bei jedem Menschen anders.
12
»Du bist sicher, dass nichts schiefgehen kann?«, fragt Frank.
»Nie und nimmer!«, wiegelt Otto ab. »Die BS 202 ist sattelfest und wird in ein paar Jahren euer Geld verdoppeln helfen. Ich selber habe unser Geld in der Police angelegt.«
... und Gina und dir geht es blendend, fügt Frank in Gedanken hinzu. Ein schneller Blick auf Lottchen bestätigt ihn. Sie werden zwanzigtausend Mark, fast ihr gesamtes Erspartes, in diese Bausparsicherung anlegen, eine gemischte Police mit variabler Risikostreuung, wie Otto erklärt hat. Otto ist ein anständiger Kerl und er wird seiner Schwester keinen Schaden zufügen wollen – also stellt der Abschluss dieser Geldanlage kein unzumutbares Risiko dar.
Otto war um elf Uhr in Bergborn eingetroffen, Gina hat noch im Laden zu tun und wird gegen vierzehn Uhr nachkommen. Piefke hat leider etwas anderes vor. Tom ist unterwegs mit Freunden, Ottilie ...
Frank sieht von seiner Unterschrift hoch. »Was ist mit meiner Tochter?«
Otto zuckt mit den Achseln und seine Brille beschlägt. Sein Kopf ruckt vor und zurück. »Hör mal, alter Knabe – ich halte mich da raus.« Er sieht über den Brillenrand zu Lotte hin, »Was da passiert ist, tut mir unendlich leid. Wir beide wollten nur das Beste für eure Tochter.«
»Ihr wisst, dass Gina eine sehr eigenwillige Frau ist. Davon kann ich euch ein Lied singen. Ob das etwas mit ihrem Vater und den Demütigungen, die sie damals durch Polizei, Gericht und Presse erfahren musste, zu tun hat ...« Otto zuckt die Achseln. »Ich weiß es nicht und Gina macht dicht, wenn es um dieses Thema geht. Sie ist eine moderne Frau, will am Leben teilhaben – auf ihre Art und Weise. Aber unzuverlässig ist sie nicht. War sie nie! Sie ist eine Seele von Mensch und würde alles für Ottilie tun. Ihr hättet mal sehen sollen, wie rührend sie sich um die Kleine gekümmert hat. Die beiden sind richtig gute Freundinnen geworden. Aber irgendwie ... sind Gina und Ottilie sich ähnlich. Ihr wisst, eure Tochter ist ein eigenwilliges Ding. Man kann nicht Tag und Nacht ein Auge auf eine frühreife Fünfzehnjährige haben.«
»Ja, ja – das wissen wir«, knurrt Frank.
»Da sagst du was Richtiges«, seufzt Lotte. »Frühreif sind sie beide, Ottilie und Thomas. Der Junge bekommt jetzt schon Bartwuchs, stell dir das mal vorm und ist fast einen Kopf größer als Gleichaltrige. Außerdem liegt der Fehler eindeutig bei mir. Ich habe überreagiert. Habe Gina Unrecht getan und meiner Tochter auch. Das war ziemlich bescheuert von mir.«
»Es wird alles wieder gut«, lächelt Otto. »Ihr werdet euch aussprechen und wieder prächtig verstehen.«
»Hoffentlich«, flüstert Lotte.
»Nu blas mal keine Trübsal, Schwesterlein. Wer, bitteschön, wandelt auf diesem Planeten und ist fehlerlos?«
»Helmut Schön«, grinst Frank.
»Gute Antwort, Schwager. Heute ist Fußball und Deutschland wird Weltmeister!« Otto packt den Vertrag in seine Aktentasche und zieht das Jackett aus. Dienst ist Dienst, Freizeit ist Freizeit. Er streckt sich und krempelt die Ärmel hoch. »Haste mal ein Bier?«
Lotte holt zwei aus dem Kühlschrank. Frank nickt dankend, zieht Lotte an sich und versetzt ihr einen Klaps auf den Po. »Ist sie nicht ein Engel?«
»Wem sagst du das, Schwager. Damals, als es hart auf hart ging, hat sich mein Schwesterlein für uns geopfert und für Piefke und mich gesorgt wie eine Mutter. Unsere echte Muttel hatte ja anderweitig zu tun ...«
Otto sieht, dass sich Lottes Gesicht verdunkelt, und beißt sich auf die Lippen.
Frank entkront die Flaschen und sie stoßen an.
»Wir sollten uns immer an den 30. Juli 1966 erinnern«, sagt Otto philosophisch. »Das ist der Tag, an dem Deutschland Weltmeister wird und Otto Jäckel dafür sorgt, dass seine große Schwester und ihr wunderbarer Kerl ein dickes Portemonnaie bekommen.«
»Hoffen wir’s«, sagt Frank und knufft seinen Schwager am Oberarm. »Päule Ratzkowski, der Wirt der Ampel, hat für heute einen besonders
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