Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
großen Bildschirm besorgt. Da wird es voll werden. Oskar und noch ein paar Kumpels wollen das Spiel in der Ampel gucken und nicht wenige werden ihre Frauen mitbringen.«
»Wir gehen rüber, wenn Ottilie, Gina und Muttel da sind, einverstanden?«, fragt Lotte.
»Wenn’s dann noch Plätze gibt«, meint Frank.
»Er hat recht«, sagt Otto. »In Päules Kneipe wird heute die Hölle los sein.«
Also ziehen Otto und Frank die Flaschen leer, rülpsen feierlich, reiben sich mit den Handrücken die Münder trocken und man bricht auf, kurz nach Mittag, ohne etwas gegessen zu haben. Was soll’s? Buletten und eine kräftige Ochsenschwanzsuppe wird Frida, die Wirtin, da haben und was will man mehr?
In der Ampel herrscht Hochbetrieb.
Die ERSTE berichtet vorab. Spielerporträts werden gezeigt. Man sieht kaum die Hand vor Augen und irgendwer schreit, dass mal jemand die Tür öffnen soll, es sei scheißwarm und verräuchert!, begleitet von einem Hustenanfall, der sich hören lassen kann. Stimmen schwirren und überall wird gelacht. Es herrscht eine zuversichtliche Stimmung. Frida und Päule zapfen um die Wette und manch einer guckt schon jetzt schief aus der Wäsche.
Oskar kommt mit Trara herein und lässt einen Witz vom Stapel, Hänfling Wenna folgt der menschlichen Kugel auf dem Fuße (die Sache mit dem Gedinge hat er Frank, den er sowieso kaum noch zu Gesicht bekommt, verziehen), beide empfangen ihr Bier, bevor sie am Tresen Position beziehen können. »Un‘ zwei Kurze, Päule!«, sagt Oskar und dreht sich zu Frank und Otto um.
»Altes Haus, schön dich zu sehen!« sagt Frank.
»Weisse Frank, heute wer’n unsere Jungs Weltmeister!«
»Stimmt schon, Oskar, stimmt schon.«
Lotte blockiert einen Tisch, von dem aus man einen prima Blick auf das TV-Gerät hat. Über dem Schankraum liegt gegenwärtig eine nervöse Spannung.
»Auf die Ehre!«, prostet Oskar.
Was ist Ehre?, fragt sich Frank. Goethe sagte, es sei das, was einen Menschen aufrecht halte! Aufrecht stehen werden viele von uns in ein paar Stunden nicht mehr, fügt Frank amüsiert hinzu, denn heute möchte er nichts ernst nehmen, nicht einmal Goethe.
Hier geht es um ein Spiel, das vor 97.000 Zuschauern im Wembley Stadion in London stattfinden wird. Und Spielen ist Vergnügen, das zur Lebenslust führt. Der Sprecher gibt die Mannschaftsaufstellung bekannt. »Schnellinger, Beckenbauer, Overath, Haller, Seeler, Held, Emmerich ...«
»Da hat der Schön man ne ganz richtige Mannschaft zusammengestoppelt!«, ruft Oskar dazwischen.
Einige Gäste geben ihm recht, andere machen ‚pssst!’. Niemand will etwas verpassen.
Höch, höch, Krchk! Immer wieder Gekröchze.
»Guck mal«, sagt Oskar. Er hat in sein himmelblaues Taschentuch gehustet und geschnupft und hält Frank und Otto das Resultat unter die Nase. »Wieder ’n Brikett in der Hand!«
Frank sagt: »Heb’s auf. Brauch noch eins für den Winter.«
Otto lacht und wendet sich angeekelt ab.
»Mach mal’n Ton lauter, Päule!«, ruft einer.
Frida dreht am Knopf. »Kannste auch freundlicher sagen, Pannas!«
»Was soll’s Fridamaus? Hauptsache, du machs ne neue Lage!«
Die Kapitäne Uwe Seeler und Bobby Moore tauschen die Wimpel, im Hintergrund beobachten der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst und der russische Linienrichter Tofik Bachramow das Ritual. Und dann pfeift der Schiri das Spiel an. Das Giganten-Finale zwischen Deutschland und England auf dem »heiligen« Rasen von Wembley hat begonnen.
Nun ist alles still in der Ampel. Frank hat sich zu Lotte an den Tisch begeben, sitzt auf der Stuhlkante, den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, unter Spannung wie vor einer wichtigen Prüfung. Otto nippt an seinem Bier. Atemlos verfolgen Männer und Frauen, wie Geschichte geschrieben wird.
Ball hin, Ball her, abtasten, vorsichtig sein. Alles ganz ruhig angehen lassen. Nur nicht zu früh einen einfangen.
In der 12. Minute schnappt Helmut Haller sich den Ball. Zwei, drei springen auf, brüllen, feuern an. »Lass knacken, Helmut!« Haller drischt los, der englische Torhüter Gordon Banks streckt sich und der Ball zappelt im Netz. Deutschland führt mit 0:1!
Jetzt ist was los in der Ampel. Brüllen, überschäumende Freude, Handflächen klatschen auf Tresen und Tische. Man fällt sich in die Arme. Es wird erneut ein Wunder von Bern geben, kannze ein’ drauf lassen! Deutschland wird Weltmeister. Und wer dat bezweifelt, hat kein’ Blick von Fußball nich’!
Alle sind aufgeregt, Zigaretten werden Kette
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