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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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hochgeklappt und die Silhouette eines Sternenguckers hebt sich gegen das trübe Licht seines Zimmers ab.
    Das ist Tom Wille.
    Für ihn ist es eine Nacht der Rückblicke.
    Eine Nacht wie jene, in der Tom sich vor Vater und Mutter verbarg. Herr Schönfeld hatte ein Gespräch mit seinen Eltern geführt und beiden empfohlen, Tom vom Gymnasium zu nehmen. Vater, dessen Traum von einem Akademikersohn zerplatzte, regierte unbeherrscht und drohte Tom heftige Prügel an. Tom, die Schultasche noch unter dem Arm, suchte das Weite, trieb sich stundenlang im Stadtpark herum, um schließlich einen Brief zu schreiben, den er verstohlen wie ein Verbrecher unten in der Toilette deponierte, wo er auch bald gefunden wurde. Er hatte eine herzzerreißende Entschuldigung verfasst, hatte um Nachsicht dafür gebeten, seinen Eltern nicht genügt zu haben, verbunden mit der Bitte, sie mögen ihn dennoch lieben. Als es Abend wurde, machte Tom es sich hinter dem Haus auf dem Dach einer der Wellblechgaragen so bequem es ging, während Stunde um Stunde verrann und starrte, auf dem Rücken liegend, in den schwarzen Himmel - es war eine kalte Novembernacht - derweil er fror, schluchzte, und mit seinen Gefühlen nicht mehr ein noch aus wusste.
    Später dann - hatte er geschlafen? - hörte er Stimmen und als er seinen Kopf über den Garagenrand schob, erblickte er drüben beim Acker Mama und seinen Vater, die zwischen Latrinenschuppen und Garagen nach ihm suchten.
    Tom vergaß nie, wie Vater zur Garage herkam, sich ans Wellblech lehnte, verharrte, lauschte, spähte, nach ihm Ausschau hielt. Dessen Haare waren nur eine Armeslänge entfernt - Tom hätte sie berühren können - und der Atem stockte ihm, denn er nahm das väterliche Bangen gewahr und sein Vater war ihm so nahe wie danach selten. Dieser entfernte sich mit schweren Schritten. Tom hatte nun ein so schlechtes Gewissen, das er, als Mama sich in Richtung der Garage bewegte und Vater schon ganz woanders suchte, vom Dach kletterte und sich ihr stellte. Mama verfrachtete ihn umgehend ins Bett, ohne Worte, was bei ihr etwas bedeutete und Tom das Schlimmste ahnen ließ.
    Tom wird sich den Rest seines Lebens daran erinnern, wie sich nachher die Tür seines Zimmers öffnete, Vater seinen Kopf durch den schwach erleuchteten Spalt schob und mit sanfter Stimme sagte: »Schön, dass du wieder bei uns bist, Ausreißer!« Und nach einer milden Pause: »Wir werden schon alles regeln, darüber reden wir morgen«, was niemals geschah, denn fortan war alles gut und Toms Leben ging noch ein paar Monate auf der Volksschule, wo er seinen Abschluss machte und dann als Lehrling weiter. Ja, so eine Nacht war es gewesen.
    Dies sind Streiflichter der Erinnerung. Sie erscheinen wie Schemen, blitzen auf wie Glühwürmchen und verschmelzen mit dem folgenden Bild einer Nacht ...
    ... wie jener, als er, Richtung Elternschlafzimmer dem Schnarchen der Eltern und dem von Oma Käthe in der guten Stube   lauschend, auf Strümpfen und Zehenspitzen, wobei er jedes Knarren des Holzes vermied, die Treppe hinunterschlich, die Wohnungstür öffnete - die Gott sei Dank nie abgeschlossen war - und das Haus verließ, um sich mit Dirk zu treffen. Dirk, ein ehemaliger Schulkamerad, ging mit ihm zu einem Alten, den er irgendwoher kannte und der in seinem Bauwagen wohnte. Dieser Mann stank, hatte verwildertes Haar und trank Bier in rauen Mengen. Er teilte sich mit den Jungen fetten Speck, den er mit einem Messer vom Stück schnitt und erzählte wüste Geschichten von Funden, die man hier vor einiger Zeit gemacht hatte und die auf ein altes römisches Heerlager hindeuteten. Diese Funde bewachte der Mann seit sechs Wochen. Und überhaupt ... niemand wusste davon und alles war ganz geheim, Tom und Dirk genossen jede Sekunde, denn es war abenteuerlich. Sie pinkelten draußen an den Wagen, lagen mit dem Rücken im taufeuchten Gras und beobachteten die aufglühend sterbenden Sterne, beömmelten sich über Albernheiten, über schmutzige Witze, eben über alles. Sie wähnten sich als Abenteurer wie Tom Sawyer und Hucky Finn, setzten sich, die laue Nacht genießend, auf Mörtelsteine und vergessen waren alle guten Vorsätze, denn sie pafften Zigaretten, husteten mit ekeligem Geschmack im Mund und fanden das ... super!, wie man neuerdings allerorts sagte und ihr Floß war der Bauwagen und der Indianerschatz war das Heerlager von Bergus Bornopulus. In so einer Nacht trank Tom sein erstes Bier und war nach der zweiten Flasche betrunken, nach der

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