Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
dritten Flasche kotzte er den Speck aus und blieb in den folgenden Nächten zu Hause, froh, dass alles gut gegangen war und niemand etwas gemerkt hatte.
In so einer Nacht küsste er sein erstes Mädchen - auf die Wange! Eines, das der Alte, dessen Name Tom niemals erfuhr, aufgegabelt hatte, eine Dralle, die ihn sabberig, bäh!, zurück küsste, über seine Nervosität und fiebernde Unschuld kicherte, die anzüglich und laut war, so maßlos, dass Tom und Dirk sich davon machten, weil sie erkannten, dass die Zoten einer Neunzehnjährigen sie schlichtweg überforderten. Ja, so eine Nacht war es gewesen.
Eine Reminiszenz an das eigene Unvermögen, den eigenen Wünschen und Lüsten Genüge zu tun, erregend im schwachen Nachglanz der Erinnerung einer Nacht wie jener ...
... in der Tom sich im Kinderkurheim auf der Nordseeinsel Juist mit Michael und Bernie durch das Schlüsselloch der Helferin Frederike beim Auskleiden zuschaute. Sie drei waren in einem Kinderheim, wohin man auf Knappschaftskosten verschickt wurde, wenn die Eltern sechs Wochen Ruhe vor den Quälgeistern haben wollten und man für zu dünn befunden wurde, denn wer zu dünn war, galt als kränklich. Es wurde Zeit, ein paar Pfunde zuzulegen. Koste es, was es wolle! Und wenn man drei Tage nicht mehr scheißen ging: Hauptsache, die Waage zeigte einen Erfolg, ansonsten ...
War man unter zehn, also klein, war der Aufenthalt im Kinderheim eine Tortur, denn die Ordensschwestern, die das Regiment führten, schienen direkt der Hölle entsprungen. Sie waren so liebenswert, dass sie so manchen gestandenen Buben mit acht oder neun Jahren ins Kleinkindalter zurückbrüllten, wodurch diese aufs neue zu Bettnässern wurden - was selbstverständlich entsetzliche Konsequenzen und noch mehr Pipi im Laken nach sich führte - oder ansonsten stramme Mädel zu heulenden Bündeln Heimweh disziplinierten, die nächtelang, wie traurige Kätzchen, nach Mama und Papa winselten - im Zehnbettzimmer, alle mit dem Gesicht in eine Richtung liegend.
Sie drei, die Ältesten, wurden von den Pinguinen in Ruhe gelassen. Sie waren alt genug, durften tun und lassen, was sie wollten. Niemand versuchte, sie zu biegen.
Es war eine Zeit der gedankenlosen Freiheit und sie streiften über die Insel, durch die Dünen, schreckten die Möwen im Naturschutzgebiet auf und Bernie wurde von drei Muttervögeln angegriffen, die sich beim Brüten gestört fühlten, woraufhin Tom und Michael - aus sicherem Abstand, denn sie waren schon am Strand - so sehr lachen mussten, dass sie sich wie Verrückte im Sand wälzten, obwohl Bernie einige Bisswunden am Ohr hatte, auf die er sehr stolz war. Und nachts waren sie zusammen und teilten mit den jungen Pädagogikstudentinnen, die kein Ordenskostüm trugen und sehr weltlich agierten, Zigaretten und durchs Schlüsselloch den Blick auf knackige Brüste und wuschelige Schambehaarung. Ja, so eine Nacht war es gewesen.
Aufblitzende Ereignisse, während Tom den milden Nachtwind in seinem Gesicht spürt, Bilder, die sich geheimnisvoll aufeinandertürmen, formen und das kristallin übermüdete Hirn zu neuen Impressionen anregen, und daran erinnern, wie stolz er gewesen war ...
... in jener Nacht, vor acht oder neun Monaten, in deren Sternenglanz er sich sonnte, sich daran erinnernd – schlaflos, seit Stunden schon –, wie er tagsüber mit Bodo Borro verfahren war.
Der Kerl mit dem Stiernacken hatte nach der Schule wieder einmal seinen Spaß auf Toms Kosten gemacht, hatte ihn gegriffen und am Parkplatz gegen ein Auto geschubst, so dass Tom die Brille auf die Nasenspitze gerutscht war und einige Mädchen sich vor Lachen nicht mehr einkriegten. Da war Tom explodiert, war wie von einer Feder geschnellt nach vorne gesprungen und hatte dem Dicken seine beiden Fäuste in den Magen gerammt. Es muss eine Mischung aus Verblüffung und Übertölpelung gewesen sein, jedenfalls taumelte Bodo rückwärts, rutschte in einer angetrockneten Pfütze aus, klatschte mit dem Breitarsch in den Matsch und glotzte Tom an wie eine Nacktschnecke mit Lederhose. Das war eindeutig etwas, das nicht zum Spiel gehörte, das war nicht fair. Tom Wille, der Knochenmann, der nicht mal richtig kloppen kann!, war ein Spielverderber und hatte die Regel gebrochen, die lautete: Wer Knochenmann verprügeln will, hat keine Konsequenzen zu befürchten. Und nun dies.
Tom zögerte nicht und warf sich auf seinen Gegner, klemmte sich Bodos Kopf unter die Achseln und riss, drückte und quetschte, dass es eine wahre
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