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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Freude war. Bodo Borro grunzte, brummte, spuckte und versuchte, sich aus dem Schwitzkasten zu befreien, schob seinen Wanst von links nach rechts durch den Matsch wie ein beinloser Krebs und rutschte dabei unter ein Auto. Tom rollte sich weg und kam auf die Knie. Bodo Borro lag eingeklemmt zwischen Bodenblech und Schlamm und war hilflos. Er belegte Tom mit Schimpfworten, dass es einem schlecht davon werden konnte. Der richtete sich auf, wischte sich den Staub und den Dreck von den Klamotten, und als er aufblickte, sah er in eine Reihe schweigender, jedoch vielsagender Gesichter. Während dessen er seine Schultasche aufhob, seine Brille richtete und davonging, quälte sich der dicke Borro unter dem Auto hervor. Diesmal hatte er kein Publikum, denn die anderen Schüler hatten sich zerstreut, angeregt plappernd, kichernd und einige wiesen mit spöttischen Bemerkungen auf den Dicken, der ganz alleine, schmutzig und besiegt, neben dem Auto hockte und mit großen Augen der Welt nicht mehr traute.
    Die übrigen Monate wurde Tom mit Respekt behandelt, es gab keine weiteren Auseinandersetzungen, und als er die Penne verließ, hatte er einige neue Freunde gewonnen. Bodo Borro ließ Tom fortan in Ruhe. Als Tom jedoch seinen Schulwechsel bekannt gab, kam er zu ihm, und drückte ihm die Hand, ein schiefes Grinsen unter der breiten Nase. Mach’s gut, Knochenmann! Bist eigentlich gar nicht so übel, biste nich!
    Die Erinnerung daran erfüllt Tom noch heute mit bebender Erregung, denn er ahnt, dass dieser Vorfall einen Teil seines Lebens verändern und seinen Charakter modellieren wird.
    So eine Nacht ist es nun, da Tom sich auf einen Stuhl gestellt hat und mit brennenden Augen, aber hellwach, aus dem Dachfenster blickt und alles das wahrnimmt, was Stille zu verheißen hat, in der Ferne die Lichter von Zeche Kruse/Konstanzia. Es duftet nach verbranntem Holz und Moder, nach aufkeimenden Blüten und Feuchtigkeit, es sind die Gerüche der Kindheit.
    Er versucht, die Sternbilder zu lesen, wie Vater es ihm beigebracht hat. Und wie üblich gelingt es ihm nur unzulänglich, abgesehen vom Großen Bären, den er stets erkannte .
    Das sind die Momente, in denen Tom die singende Einsamkeit der Nacht wie eine Last empfindet, sich nach einer Freundin sehnt, nach Karla vielleicht, die weggezogen ist, oder Petra, die mit den schwarzen glatten Haaren und der Stupsnase. Er ist fünfzehn geworden und einige seiner wenigen Kameraden haben schon ... Erfahrungen. Obwohl sie noch wie kleine Jungen aussehen, wohingegen Tom ihnen meilenweit voraus ist. Er ist fast einsachtzig groß mit zögerlich sprießendem Bartwuchs, kann sich kultiviert ausdrücken, ist ein ansehnlicher junger Mann. Ach, wäre er nur nicht so schüchtern.
    Vielleicht werden sie, die Willes, bald hier wegziehen. Es gibt Gerüchte. Mama und Vater flüstern und tuscheln. Genaues weiß Tom wie üblich nicht. Schön wäre es, dann hätte er Ottilie wieder bei sich und ein Badezimmer und vor allen Dingen eine Toilette.
    Sein Kinn liegt auf dem Fensterrahmen - kühles Holz - und seine Gedanken schweifen weiter hin zu seinem Roman, den er beendet hat.
    Es ist die Geschichte einer Jugendbande, die gegen das Böse antreten, etwa wie das von Enid Blyton, Fünf Freunde oder so, was Tom neben Die Geschichte zweier Städte von Charles Dickens und dem neuesten Simmel so gerne liest, nur das seine Geschichte in Deutschland spielt. Er hat sich mit ein paar Kurzgeschichten ausprobiert, die allesamt von Herrn Stern veröffentlicht wurden. Nun ist es Zeit für eine große Geschichte, dreihundert Seiten.
    Tom träumt davon, irgendwann einmal ein Schriftsteller zu sein, jemand, der Autogramme gibt, der seine Geschichte vor einem gebannt lauschenden Publikum vorliest, einer der, wie Stefan Zweig einst schrieb, die geisterhafte Musik im Literarischen entdeckt, was Tom heutzutage viel besser als noch vor vier Jahren nachvollziehen kann.
    Mit Jugendlichen kennt er sich aus, denn er ist selbst einer. Also wird sein Roman wohl nicht so schlecht sein. Mal sehen, was Herr Stern dazu sagt, der das Manuskript vorliegen hat.
    Tom klettert vom Stuhl und legt sich ins Bett.
    Es dauert noch eine weitere Stunde, bis er endlich einschläft.
     
     
     

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
2
     
    Kurt Stoltefuss, Knappschaftsältester und Vertrauensobmann von Bergborn, stiert über den Rand seiner schwarzrandigen Lesebrille, wobei stieren genau das richtige Wort ist, denn seine Augen sind klein wie Stecknadelköpfe, schwarz und

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