Alles auf Anfang
verschwindet, klappt sie ihr Buch zu, dreht sich um und sieht mich an. Sie will wissen, ob ich es ebenfalls rieche. Ich würdige sie keiner Antwort. Ich blicke stur auf den kahlen Kopf vor mir.
Die anderen Passagiere in der Nähe merken ebenfalls, dass etwas nicht stimmt. Sie drehen sich auf ihren Sitzen um und blicken in der Kabine umher; sie sehen sich mit verzogenen Gesichtern an; sie fächeln sich mit Zeitungen und Zeitschriften Luft zu. Eine Stewardess, das schwarze Haar zu einem perfekten Chignon zusammengefasst, kommt langsam den Gang herunter, schnuppert mit erhobener Nase, ein Jagdhund, der Fasane aufstöbert. Zwei Reihen vor mir bleibt sie stehen und bückt sich neben einer jungen Mutter, die einen schlafenden Säugling hält. Die Stewardess stellt flüsternd eine Frage, und die Mutter schüttelt lächelnd den Kopf.
»Machen Sie endlich das Baby sauber«, faucht eine alte Frau, die hinter mir sitzt. »Wenn man schon ein Baby mit an
Bord bringt«, sagt sie laut zu ihrem Mann, »sollte man wenigstens so viel Anstand besitzen, es sauber zu halten.«
»Es ist nicht das Baby«, sagt die Stewardess, richtet sich auf und setzt ihren Weg in Richtung des Flugzeughecks fort. Als sie meine Reihe erreicht, hält sie inne, blickt erst nach links und dann nach rechts, und ihre Augen richten sich auf mich. Der dunkle Fleck breitet sich unter mir auf dem Sitz aus, außer Sicht, doch die Stewardess muss den Beweis gar nicht sehen - sie riecht ihn an mir, riecht mein Schuldbewusstsein. Sie geht einige Reihen weiter, um sich zu vergewissern, dass ich die Ursache der Belästigung bin. Die Frau auf dem Fensterplatz weiß es bereits. Sie drückt sich so dicht an die Kabinenwand, wie sie nur kann, starrt mich verwirrt und angewidert an.
Die Stewardess kommt zurück und geht neben mir in die Hocke. »Sir«, fragt sie, »fühlen Sie sich unwohl?«
»Nein«, teile ich ihr mit.
Sie spricht mir gesenkter Stimme weiter, um mich nicht in Verlegenheit zu bringen, um die Situation unter Kontrolle zu behalten. »Ist Ihnen ein Malheur passiert?«, fragt sie.
Ich schaue sie nicht an. Der kahle Mann vor mir hat sich umgedreht, um nichts zu verpassen. Er sieht aus wie mein Großvater, weißer Schnurrbart über einem freundlichen Mund, die Ohren ausgestreckt wie die Flügel eines Schwans, der von einem See hochfliegt.
»Sir«, wiederholt die Stewardess, »wenn Sie sich nicht wohlfühlen, kann ich Ihnen helfen. So etwas passiert gelegentlich, kein Grund zur Beunruhigung.«
Ich sage nichts.
»Wir können Ihnen Sachen zum Wechseln besorgen und Ihnen etwas geben, damit sich Ihr Magen beruhigt. Würden Sie bitte mitkommen?«
»Nein.«
Der Mann, der nicht mein Großvater ist, sieht die Stewardess kopfschüttelnd an. Der Blick, den er ihr zuwirft, besagt: Wir haben es hier mit einem Verrückten zu tun.
Die Stewardess versucht es ein weiteres Mal. »Kommen Sie mit nach hinten, Sir. Ich bin überzeugt, dass Sie sich dann gleich besser fühlen.« Als ich keine Antwort gebe, seufzt sie und steht auf, streicht ihren blauen Plisseerock glatt und geht schnell in den vorderen Teil der Kabine.
Einige Passagiere haben ihre Plätze verlassen; sie stehen grüppchenweise in sicherer Entfernung zusammen, flüstern und kichern und starren zu mir her. Ich schaue sie nicht an. Ich versuche nicht, zu hören, was sie sagen. Ich sitze in meiner eigenen Scheiße und warte.
Die Stewardess kommt mit einem Mitglied des Kabinenpersonals zurück, einem hübschen Jungen mit einem Grübchen im Kinn und penibel modellierter Stirnlocke. »Können wir Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein, Sir?«, fragt er.
»Nein.«
»Okay«, sagt er und legt umgehend das devote Gebaren ab. »Ich muss Sie leider bitten mitzukommen, Sir. Machen Sie bitte keine Schwierigkeiten.«
Ich lege meinen Sicherheitsgurt an und ziehe ihn stramm.
Der Steward und die Stewardess tauschen Blicke. Wieso das? Wieso jetzt? Ich beobachte sie aus den Augenwinkeln, bereit, Widerstand zu leisten, falls sie mich anfassen sollten.
Aber dieses Stadium haben wir noch nicht erreicht. Sie haben keine Lust, physische Gewalt anzuwenden. Sie haben nicht darum gebeten, dass ihnen jemand Schwierigkeiten macht; sie wollten nicht, dass das passiert. Ich kann es verstehen. Ich wollte auch nicht, dass das passiert. Ich war noch nie ein Unruhestifter. Bis jetzt. Aber die Leute müssen aus der Ruhe gebracht werden.
»Ich mache Sie darauf aufmerksam, Sir«, sagt der Steward, »wer auf einem Flug die öffentliche
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